Revision [2825]
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====={{anchor name="15"}}En las montañas=====
Deletions:
Revision [2824]
Edited on 2024-05-13 14:20:45 by MarcelloCastellaniAdditions:
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====={{anchor name="14"}}En las montañas=====
Die Sonne stand recht hoch am Himmel, als Jimeno mit hohler Hand einen Schluck Wasser aus dem eiskalten Bergquell schöpfte. Ein Kiesel traf ihn prompt am Rücken. „He, spar dir die für das Ungeziefer“, rief er, während er lachend mit etwas Wasser nach seiner Schwester spritze, die verschmitzt grinste. „War wohl eine Verwechslung“, sagte sie unbekümmert und widmete sich dann wieder der Holzschnitzerei, mit der sie eigentlich die Langeweile bei der Arbeit bekämpfte. Bald würde sie zu alt sein, um mit ihrem kleinen Bruder die Fliegen und andere Schädlinge von den Fleischstreifen zu verscheuchen, die in der grellen Sommersonne zum Trocknen aufgehängt waren. Hier konnte man es sich nicht leisten, dass nicht auch die Jüngsten schon mithalfen, denn der Weg ins Tal war beschwerlich und die Umgebung so karg, dass alle Ressourcen genutzt werden mussten. Dann würde Jimeno den kleinen Raúl für derlei einfache Tätigkeiten begleiten müssen, während Rélena von ihrer Mutter mehr und mehr in die Verwaltung von Haus und Hof eingeführt werden würde.
Jimeno beäugte das Fleisch kritisch. „Sieht noch feucht aus“, bemerkte er. Aber Rélena durchschaute ihren Bruder, verwuschelte dessen Haar und schüttelte den Kopf. Wortlos begann sie, die nunmehr trockenen Streifen in ein in Bienenwachs getränktes Leinentuch zu sammeln, wobei ihr Bruder ihr zögerlich zu Hilfe kam. Sie konnte es dem kleinen lebensfrohen Jungen nicht verübeln, dass er den Moment der Heimkehr ein klein wenig hinauszögern wollte.
Seit Tío Avielos Unfall war ihr Zuhause ein düsterer Ort geworden. Tía Marcella war zwar immer schon eine ernste Frau gewesen, aber Avielo hatte sie stets zum Lachen bringen können, und Jimeno fand, dass ihr dieses Lachen gutstand. Aber jetzt lachte sie nicht mehr. Jetzt sah die Familie zu, wie ihr Gesicht immer hagerer wurde, die Schatten unter den Augen dunkler, die Haut fahler. Der Gesichtsausdruck jedoch blieb stoisch gleich, wenn Marcella mit einer dampfenden Schüssel Suppe in die abgedunkelte Kammer ihres Mannes trat, und auch, wenn sie mit einer beinahe ebenso vollen Schüssel wieder hinaus trat.
Avielo selbst hatte sich so sehr verändert, dass Jimeno sich nicht mehr in dessen Schlafkammer wagte. Manchmal traute er sich bis an die Tür und spähte durch den Spalt hinein, wenn er sich besonders mutig fühlte. Dann sah er seinen Onkel daliegen, wie er sich in Fieberträumen hin und her wälzte, wie ein schlecht gemaltes Abbild des Mannes, der er einst war. Nichts ließ noch darauf schließen, dass er einst von Jimenos Mutter, Avielos Schwester, damit aufgezogen worden war, dass es sich um eine Verwechslung handeln müsse und er doch sicherlich an der Küste Jarlows geboren sei. Jimeno liebte die Scherze, die Avielo allen spielte und dessen scheinbare Unbekümmertheit.
Aber egal, was Jimenos Mutter behauptete, Avielo war ebenso ein Kind der Berge wie sie. Einmal hatte Rélena das Leben hier oben verfluchen wollen und herausfordernd gefragt, warum sie die Familie nicht verlassen und ins Tal oder gar ans Meer ziehen sollte. Avielo hatte sie nur verständnisvoll, aber wortlos angesehen. Am nächsten Morgen, als es noch beinahe Nacht war, war Rélena dann von ihm mit einem sanften Rütteln an der Schulter geweckt worden. Er hatte ihr eine schwere Decke umgelegt und sie an der Hand durch das Dunkel geführt. Sie hatte Mühe gehabt, ihm zu folgen und war mehrfach gestolpert. Sie hatte gefragt, was das alles soll, aber sie hatte sich eingebildet, Avielo im Halbdunkel des anbrechenden Tages geheimnisvoll lächeln zu sehen. Schließlich waren sie stehen geblieben und Avielo hatte sich an den Rand eines Felsvorsprungs gesetzt und still gewartet. Verwirrt hatte sich Rélena neben ihn auf den Boden sinken lassen, die Beine zittrig vom Aufstieg. Aber wenige Minuten später begann sie zu verstehen, als das zarte Gold erster Sonnenstrahlen über den Wolken hervortrat. Rélena hielt den Atem an, sowie die ganze Welt den Atem anzuhalten schien. Ihr Onkel aber flüsterte etwas, und es war Rélena als verstärkten die Berge den Hall des Flüsterns zu einem Raunen, das sie bald ganz umgab. Und sie verstand, dass sie immer ein Teil dieser Berge sein würde und ihnen niemals den Rücken kehren würde.
Aber jetzt hatten eben jene Berge Avielo gebrochen. Er hatte in einem Sturm eine Ziege aus einer Felsspalte retten wollen, weil jedes einzelne Tier für die Familie von unschätzbarem Wert war. Aber er selbst war dabei gestürzt und sein Bein so zertrümmert, dass es nicht mehr zu retten war. Zu allem Überfluss hatte sich die Wunde entzündet und so schnell um sich gegriffen, dass auch eine Abnahme des Beins ihn nicht mehr würde retten können. Seitdem lag er in dem dunklen Zimmer, weil seine fiebrigen Augen das Licht nicht ertrugen, und seine Frau war bemüht, seine Schmerzen bestmöglich zu lindern.
Jimeno verkniff sich deswegen am Abend auch ein Murren über den dünnen Eintopf, zu dem es nur hartes Brot gab. Weil weder Avielo noch Marcella helfen konnten, blieb zu viel an allen anderen hängen, und die sonst deftigen Eintöpfe wurden nun lieblos und gehetzt von seiner Mutter zubereitet. Zeit, frisches Brot zu backen, blieb ebenso wenig.
Als das Essen beendet war, blieben alle seltsam schweigend sitzen. Jimeno hatte erwartet, dass sein Vater sich erheben würde, das Zeichen, dass die Kinder es ihm nun gleichtun konnten. Aber stattdessen starrte dieser nur mit ernstem Gesicht zu Marcella. Diese schaute reglos und ausdruckslos auf ihren leeren Teller, spürte aber deutlich den Blick ihres Schwagers, als ob sie diesen erwartet hätte. Dann atmete sie beherrscht ein, hob die Augen, stoisch beherrscht wie immer, und nickte kaum merklich. Wie auf ein unsichtbares Kommando standen alle Erwachsenen auf, ließen das Geschirr auf dem Tisch stehen und begannen, durch das Haus zu gehen. Vater verließ bestimmten Schrittes das Haus. Die übrigen nahmen Rélenas Puppe aus Kindertagen vom Fensterbrett und verstauten sie ebenso in einer Holzkiste, wie den aus Holz geschnitzten Esel, der Hector symbolisierte. Sie entfernten jeden Gegenstand und jedes Symbol, das eine persönliche Bedeutung hatte, bis das Haus seltsam seelenlos und leer anmutete.
Die Kinder spürten die Besonderheit der Situation, und stellten keine Fragen. Rélena als vorbildhafte Älteste begann, den Tisch abzudecken und die Kleinen für das Bett fertig zu machen. Als Jimeno fast schon eingeschlafen war, trat seine Mutter an sein Bett. „Schlaf gut, mein Kind. Und versprich mir eins: Egal, was du heute Nacht hörst – bleib im Bett! Hörst du? Egal, was es ist. Es ist nichts.“ Jimenos Herz klopfte nun bis in den Hals, aber er nickte nur. Dann drehte er sich auf die Seite und spürte, wie seine Mutter sanft seine Schulter drückte. Sie war nie überschwänglich mit Bekundungen der Zuneigung gewesen, aber Jimeno wusste, was die Geste bedeutete.
Es hatte gedauert, aber Jimeno musste eingeschlafen sein. Nun jedoch war er jäh wach, als er das Knarzen der Dielenbretter hörte. „Rélena?“, flüsterte er. Doch seine Geschwister atmeten gleichmäßig. Vielleicht hatte Jimeno sich auch getäuscht. „Bleib im Bett, egal was passiert“, hallte die Stimme seiner Mutter durch seine Gedanken. Es ist nichts, es ist nur Vater, der von wo auch immer heimgekehrt war. Aber Jimeno wusste, dass er sich selbst belog, denn die Schritte seines Vaters klangen anders. Und dann hörte er einen leisen Gesang. Ein Wiegenlied, das seine Mutter auch Raúl und ihm und Rélena gesungen hatte. Aber es war nicht seine Mutter, die da sang. Jimeno schlug die Warnung seiner Mutter aus dem Kopf und kletterte lautlos von seinem Schlaflager. Mit pochendem Herzen schlich er durch das Dunkel. Nur aus Avielos Zimmer drang dumpfer Kerzenschein, und auch der Gesang schien aus diesem Zimmer zu kommen. Er hörte Avielo schluchzen, ein ungewöhnlicher Klang, woraufhin die Frauenstimme besänftigend auf diesen einredete. Wie eine Mutter, die ein müdes Baby beruhigte. Bis sich die Schluchzer in gleichmäßiges Atmen verwandelten.
Dann ertönte ein dumpfer Knall. Jäh zuckte Jimeno zusammen und musste einen Schrei unterdrücken. Was war passiert? Aber alsbald war es wieder still, und Jimeno verharrte mehrere Atemzüge in dem Versuch, sich zu beruhigen. Er horchte angestrengt. Aber es blieb still. Als er gerade so weit war zu glauben, sich alles nur eingebildet zu haben, ging die Tür zu Avielos Schlafkammer auf und Jimeno konnte eine große, schlanke, gänzlich in Schwarz gekleidete Figur in der Tür ausmachen. Im selben Augenblick packte ihn eine Hand an der Schulter, eine andere schob sich über seinen Mund und zog ihn zurück in die Schlafkammer. Er erkannte am Geruch, dass es seine Mutter war, und so schnell Jimeno sich zunächst erschrak, so schnell beruhigte er sich. Schuldbewusst kroch er unter seine Decke. Seine Mutter sprach kein Wort. Sie blieb nur bei ihm sitzen, und als er beinahe eingeschlafen war, drückte sie sanft seine Schulter und ging.
Als Jimeno am nächsten Tag half, die Steine auf das schlichte Grab zu stapeln, fragte er sich, ob er die Nacht zuvor geträumt hatte. Seine Mutter und auch sonst niemand in der Familie zeigte Anzeichen dafür, dass irgendetwas Seltsames geschehen sei. Der Holzesel und die Puppe waren wieder an Ort und Stelle, das Haus sah aus wie früher – nur Avielos Lachen würde für immer fehlen. Und Marcellas auch, zumindest für viele Jahre.
Viel später verstand Jimeno, was in dieser Nacht geschehen war. Mit Entsetzen auf dem Gesicht wandte er sich jäh an seine Mutter. „Habt ihr ihn denn gar nicht geliebt?“ Diese musste nicht fragen, was Jimeno meinte, obschon viel Zeit vergangen war. Seine Mutter seufzte leise und sah ihn mit einer Mischung aus Bedauern und Sanftheit an. “En las montañas, el lenguaje del amor desencadena avalanchas, no un suave susurro.” Sie stand auf und drückte sanft seine Schulter.
====={{anchor name="14"}}En las montañas=====
Die Sonne stand recht hoch am Himmel, als Jimeno mit hohler Hand einen Schluck Wasser aus dem eiskalten Bergquell schöpfte. Ein Kiesel traf ihn prompt am Rücken. „He, spar dir die für das Ungeziefer“, rief er, während er lachend mit etwas Wasser nach seiner Schwester spritze, die verschmitzt grinste. „War wohl eine Verwechslung“, sagte sie unbekümmert und widmete sich dann wieder der Holzschnitzerei, mit der sie eigentlich die Langeweile bei der Arbeit bekämpfte. Bald würde sie zu alt sein, um mit ihrem kleinen Bruder die Fliegen und andere Schädlinge von den Fleischstreifen zu verscheuchen, die in der grellen Sommersonne zum Trocknen aufgehängt waren. Hier konnte man es sich nicht leisten, dass nicht auch die Jüngsten schon mithalfen, denn der Weg ins Tal war beschwerlich und die Umgebung so karg, dass alle Ressourcen genutzt werden mussten. Dann würde Jimeno den kleinen Raúl für derlei einfache Tätigkeiten begleiten müssen, während Rélena von ihrer Mutter mehr und mehr in die Verwaltung von Haus und Hof eingeführt werden würde.
Jimeno beäugte das Fleisch kritisch. „Sieht noch feucht aus“, bemerkte er. Aber Rélena durchschaute ihren Bruder, verwuschelte dessen Haar und schüttelte den Kopf. Wortlos begann sie, die nunmehr trockenen Streifen in ein in Bienenwachs getränktes Leinentuch zu sammeln, wobei ihr Bruder ihr zögerlich zu Hilfe kam. Sie konnte es dem kleinen lebensfrohen Jungen nicht verübeln, dass er den Moment der Heimkehr ein klein wenig hinauszögern wollte.
Seit Tío Avielos Unfall war ihr Zuhause ein düsterer Ort geworden. Tía Marcella war zwar immer schon eine ernste Frau gewesen, aber Avielo hatte sie stets zum Lachen bringen können, und Jimeno fand, dass ihr dieses Lachen gutstand. Aber jetzt lachte sie nicht mehr. Jetzt sah die Familie zu, wie ihr Gesicht immer hagerer wurde, die Schatten unter den Augen dunkler, die Haut fahler. Der Gesichtsausdruck jedoch blieb stoisch gleich, wenn Marcella mit einer dampfenden Schüssel Suppe in die abgedunkelte Kammer ihres Mannes trat, und auch, wenn sie mit einer beinahe ebenso vollen Schüssel wieder hinaus trat.
Avielo selbst hatte sich so sehr verändert, dass Jimeno sich nicht mehr in dessen Schlafkammer wagte. Manchmal traute er sich bis an die Tür und spähte durch den Spalt hinein, wenn er sich besonders mutig fühlte. Dann sah er seinen Onkel daliegen, wie er sich in Fieberträumen hin und her wälzte, wie ein schlecht gemaltes Abbild des Mannes, der er einst war. Nichts ließ noch darauf schließen, dass er einst von Jimenos Mutter, Avielos Schwester, damit aufgezogen worden war, dass es sich um eine Verwechslung handeln müsse und er doch sicherlich an der Küste Jarlows geboren sei. Jimeno liebte die Scherze, die Avielo allen spielte und dessen scheinbare Unbekümmertheit.
Aber egal, was Jimenos Mutter behauptete, Avielo war ebenso ein Kind der Berge wie sie. Einmal hatte Rélena das Leben hier oben verfluchen wollen und herausfordernd gefragt, warum sie die Familie nicht verlassen und ins Tal oder gar ans Meer ziehen sollte. Avielo hatte sie nur verständnisvoll, aber wortlos angesehen. Am nächsten Morgen, als es noch beinahe Nacht war, war Rélena dann von ihm mit einem sanften Rütteln an der Schulter geweckt worden. Er hatte ihr eine schwere Decke umgelegt und sie an der Hand durch das Dunkel geführt. Sie hatte Mühe gehabt, ihm zu folgen und war mehrfach gestolpert. Sie hatte gefragt, was das alles soll, aber sie hatte sich eingebildet, Avielo im Halbdunkel des anbrechenden Tages geheimnisvoll lächeln zu sehen. Schließlich waren sie stehen geblieben und Avielo hatte sich an den Rand eines Felsvorsprungs gesetzt und still gewartet. Verwirrt hatte sich Rélena neben ihn auf den Boden sinken lassen, die Beine zittrig vom Aufstieg. Aber wenige Minuten später begann sie zu verstehen, als das zarte Gold erster Sonnenstrahlen über den Wolken hervortrat. Rélena hielt den Atem an, sowie die ganze Welt den Atem anzuhalten schien. Ihr Onkel aber flüsterte etwas, und es war Rélena als verstärkten die Berge den Hall des Flüsterns zu einem Raunen, das sie bald ganz umgab. Und sie verstand, dass sie immer ein Teil dieser Berge sein würde und ihnen niemals den Rücken kehren würde.
Aber jetzt hatten eben jene Berge Avielo gebrochen. Er hatte in einem Sturm eine Ziege aus einer Felsspalte retten wollen, weil jedes einzelne Tier für die Familie von unschätzbarem Wert war. Aber er selbst war dabei gestürzt und sein Bein so zertrümmert, dass es nicht mehr zu retten war. Zu allem Überfluss hatte sich die Wunde entzündet und so schnell um sich gegriffen, dass auch eine Abnahme des Beins ihn nicht mehr würde retten können. Seitdem lag er in dem dunklen Zimmer, weil seine fiebrigen Augen das Licht nicht ertrugen, und seine Frau war bemüht, seine Schmerzen bestmöglich zu lindern.
Jimeno verkniff sich deswegen am Abend auch ein Murren über den dünnen Eintopf, zu dem es nur hartes Brot gab. Weil weder Avielo noch Marcella helfen konnten, blieb zu viel an allen anderen hängen, und die sonst deftigen Eintöpfe wurden nun lieblos und gehetzt von seiner Mutter zubereitet. Zeit, frisches Brot zu backen, blieb ebenso wenig.
Als das Essen beendet war, blieben alle seltsam schweigend sitzen. Jimeno hatte erwartet, dass sein Vater sich erheben würde, das Zeichen, dass die Kinder es ihm nun gleichtun konnten. Aber stattdessen starrte dieser nur mit ernstem Gesicht zu Marcella. Diese schaute reglos und ausdruckslos auf ihren leeren Teller, spürte aber deutlich den Blick ihres Schwagers, als ob sie diesen erwartet hätte. Dann atmete sie beherrscht ein, hob die Augen, stoisch beherrscht wie immer, und nickte kaum merklich. Wie auf ein unsichtbares Kommando standen alle Erwachsenen auf, ließen das Geschirr auf dem Tisch stehen und begannen, durch das Haus zu gehen. Vater verließ bestimmten Schrittes das Haus. Die übrigen nahmen Rélenas Puppe aus Kindertagen vom Fensterbrett und verstauten sie ebenso in einer Holzkiste, wie den aus Holz geschnitzten Esel, der Hector symbolisierte. Sie entfernten jeden Gegenstand und jedes Symbol, das eine persönliche Bedeutung hatte, bis das Haus seltsam seelenlos und leer anmutete.
Die Kinder spürten die Besonderheit der Situation, und stellten keine Fragen. Rélena als vorbildhafte Älteste begann, den Tisch abzudecken und die Kleinen für das Bett fertig zu machen. Als Jimeno fast schon eingeschlafen war, trat seine Mutter an sein Bett. „Schlaf gut, mein Kind. Und versprich mir eins: Egal, was du heute Nacht hörst – bleib im Bett! Hörst du? Egal, was es ist. Es ist nichts.“ Jimenos Herz klopfte nun bis in den Hals, aber er nickte nur. Dann drehte er sich auf die Seite und spürte, wie seine Mutter sanft seine Schulter drückte. Sie war nie überschwänglich mit Bekundungen der Zuneigung gewesen, aber Jimeno wusste, was die Geste bedeutete.
Es hatte gedauert, aber Jimeno musste eingeschlafen sein. Nun jedoch war er jäh wach, als er das Knarzen der Dielenbretter hörte. „Rélena?“, flüsterte er. Doch seine Geschwister atmeten gleichmäßig. Vielleicht hatte Jimeno sich auch getäuscht. „Bleib im Bett, egal was passiert“, hallte die Stimme seiner Mutter durch seine Gedanken. Es ist nichts, es ist nur Vater, der von wo auch immer heimgekehrt war. Aber Jimeno wusste, dass er sich selbst belog, denn die Schritte seines Vaters klangen anders. Und dann hörte er einen leisen Gesang. Ein Wiegenlied, das seine Mutter auch Raúl und ihm und Rélena gesungen hatte. Aber es war nicht seine Mutter, die da sang. Jimeno schlug die Warnung seiner Mutter aus dem Kopf und kletterte lautlos von seinem Schlaflager. Mit pochendem Herzen schlich er durch das Dunkel. Nur aus Avielos Zimmer drang dumpfer Kerzenschein, und auch der Gesang schien aus diesem Zimmer zu kommen. Er hörte Avielo schluchzen, ein ungewöhnlicher Klang, woraufhin die Frauenstimme besänftigend auf diesen einredete. Wie eine Mutter, die ein müdes Baby beruhigte. Bis sich die Schluchzer in gleichmäßiges Atmen verwandelten.
Dann ertönte ein dumpfer Knall. Jäh zuckte Jimeno zusammen und musste einen Schrei unterdrücken. Was war passiert? Aber alsbald war es wieder still, und Jimeno verharrte mehrere Atemzüge in dem Versuch, sich zu beruhigen. Er horchte angestrengt. Aber es blieb still. Als er gerade so weit war zu glauben, sich alles nur eingebildet zu haben, ging die Tür zu Avielos Schlafkammer auf und Jimeno konnte eine große, schlanke, gänzlich in Schwarz gekleidete Figur in der Tür ausmachen. Im selben Augenblick packte ihn eine Hand an der Schulter, eine andere schob sich über seinen Mund und zog ihn zurück in die Schlafkammer. Er erkannte am Geruch, dass es seine Mutter war, und so schnell Jimeno sich zunächst erschrak, so schnell beruhigte er sich. Schuldbewusst kroch er unter seine Decke. Seine Mutter sprach kein Wort. Sie blieb nur bei ihm sitzen, und als er beinahe eingeschlafen war, drückte sie sanft seine Schulter und ging.
Als Jimeno am nächsten Tag half, die Steine auf das schlichte Grab zu stapeln, fragte er sich, ob er die Nacht zuvor geträumt hatte. Seine Mutter und auch sonst niemand in der Familie zeigte Anzeichen dafür, dass irgendetwas Seltsames geschehen sei. Der Holzesel und die Puppe waren wieder an Ort und Stelle, das Haus sah aus wie früher – nur Avielos Lachen würde für immer fehlen. Und Marcellas auch, zumindest für viele Jahre.
Viel später verstand Jimeno, was in dieser Nacht geschehen war. Mit Entsetzen auf dem Gesicht wandte er sich jäh an seine Mutter. „Habt ihr ihn denn gar nicht geliebt?“ Diese musste nicht fragen, was Jimeno meinte, obschon viel Zeit vergangen war. Seine Mutter seufzte leise und sah ihn mit einer Mischung aus Bedauern und Sanftheit an. “En las montañas, el lenguaje del amor desencadena avalanchas, no un suave susurro.” Sie stand auf und drückte sanft seine Schulter.
Revision [2800]
Edited on 2022-12-08 23:14:25 by MarcelloCastellaniAdditions:
{{anchor target="14" text="13. Mohnbrot und Spiele"}}
====={{anchor name="14" h2=}}Mohnbrot und Spiele=====
Zeit: Spätsommer 222 ndGFdB
Wichtige Orte: Jarlow Stadt, Casa Panaficadora
Wichtige Personen: Silvio Harinero - Bäckermeister der Mohnbäckerei
An der weißen Leinenschürze, befleckt vom Mehl, rieb er seine Hände ab und griff nach dem Stiel seines Brotschiebers. Dieses aus massivem Olivenholz gefertigte, schippenartige Werkzeug war schon sehr lange im Besitz seiner Familie, so lang, dass Jarlow-Ciudad noch ein Möwenschiss auf der Landkarte gewesen war. Er genoss das Gefühl von dem glattem Holz, geschmirgelt vom Mehl und den gut ausbalancierten Schwerpunkt. Gerade wenn er die schweren Brote und Brötchen, die noch am meisten Hitze brauchten, frühmorgens in den Ofen schob, hantierte er am liebsten mit dem Schieber. Er war gleichzeitig ein Symbol seiner Gilde, obwohl einige seiner Kollegen sagen würden, dass er eher Zuckerbäcker sei und damit dieses Symbols nicht würdig war, aber gegen diese Geringschätzung würde er bis auf das Blut vorgehen.
Wenn die letzte Fuhre gleich fertig gebacken sein würde, würde der zweite Teil seines langen Arbeitstages beginnen, einzig unterbrochen von einer kleinen Pause, die er jetzt begann. Er hängte seine Schürze an den Haken in seiner Bäckerei, klaubte ein kleines Lederetui aus der Tasche und verließ die Casa Panaficadora durch einen Hinterausgang und setzte sich in das kleine Atrium, welches sich zwischen den hohen Häusern bildete.
Gleich würde der Ofen ganz seiner Frau Lucía gehören, die mit den feinen Mohn-Köstlichkeiten begann, nach denen sich vor allem die Nachmittagsgesellschaften sehnten: Törtchen, Striezel, Kanonenbällchen und Zöpfe, alles mit Mohn versehen. Diese waren schnell gebacken und so ganz frisch für den Direktverzehr. Er räusperte sich und schlug das Etui auf und begann routiniert sein Pfeifchen zu stopfen.
Immer zu dieser Jahreszeit kam er in einen Zwiespalt - mochte er den Sommer oder nicht? Zum einen war es nicht lange dunkel, wenn er zur dritten Stunde aufwachte, um den Ofen anzufeuern. Zum anderen war es schon früh in seiner Backstube so heiß, dass er gar nicht genug trinken konnte, um die Hitze auszuhalten. Aber er kam zu dem Schluss… es ist wie es ist.
Er betrachtete den Hinterhof, und ihm gefiel, was er sah. Früher war es hier nur bedingt gemütlich. Es gab diese zwei Steinbänke, hölzerne Regentonnen und einen kleinen Baum in einem Kübel in der Mitte. Irgendetwas Hitzebeständiges, Knorriges rankte in der Mitte Richtung Himmel.
Nun aber, seit einigen Tagen, schaute man sich diese Pracht an!, gab es überall Mohnblumen. In strahlendem Rot wogten sie sich in der flirrenden Luft, die sich durch das kleine Hintertor hinein verirrte. Silvio liebte diese Blüte; sie ernährte seine Familie auf die eine oder andere Weise. Und jetzt konnte er sie sogar hier genießen und nicht nur das veredelte Endprodukt.
Er hatte schon gerätselt, was es damit auf sich hat, aber seine kluge Ehefrau Lucía hatte ihm zischend erklärt, dass es Dinge gab, über die er sich lieber nicht laut Gedanken machen sollte. So akzeptierte er für sich die Erklärung, dass es eine Entschuldigung seiner Nachbarn war, die ihm diese Blumenpracht in den Hinterhof gepflanzt hatten. Denn er war vor einigen Nächten durch Rumpeln und Stimmengewirr gegen Mitternacht geweckt worden. Als er aber in das Treppenhaus gespäht hatte, hatte er sich dafür entschieden, sich sofort wieder hinzulegen und einfach nicht darüber nachzudenken, was er dort gesehen hatte.
Manchmal vermisste er jedoch das Lachen und Jauchzen, sowie Kinderkrakeelen im Hausflur. Nicht, dass das Haus leer stand. Manchmal hörte man Fußgestampfe, Stimmen und sah vielleicht Schatten huschen, aber man wohnte nicht mehr richtig zusammen als Nachbarn. Die Señores, die er jetzt manchmal dort sah, grüßten zwar morgens, aber sie kauften nicht bei ihm ein, und auch die Herzlichkeit war irgendwie mit den Frauen und Kindern verschwunden. Aber wie gesagt… Manchmal konnte man die Dinge nicht beeinflussen.
Lange hatte er keine Zeit mehr zu philosophieren. Seine Pfeife war schon fast zu Ende gepafft und er musste sich sputen. Zum Alltagsgeschäft der Marktbesucher, die sich ihren Bauch mit seinen exquisiten Leckereien füllten, Anwohnern die ihre Vorratskammern mit seinen Waren füllten, ausländischen Besuchern, welche die Schiffe in seinen Laden spülten, kam eine neue Reihe von Aufträgen hinzu.
Seit dem Spätsommer häuften sich die Anfragen in seinem Laden, dass er für Empfänge und Feiern kleine Köstlichkeiten zubereiten sollte. Nicht dass Silvio das wunderte - er hatte schon öfters für Bankette seine Backwaren geliefert. Aber hier schien der Anlass zwar ein gesellschaftlicher zu sein, doch schien es neuerdings eher um Kunst zu gehen.
Seit einigen Wochen lieferte er also Körbe voller süßer kleiner Häppchen in große Casas, oder gar öffentliche Gebäude, aus. Die Gäste begutachteten voller Interesse Gegenstände, Gemälde, Statuen oder teilweise kleine beschriebene Dokumente mit einer solchen Hingabe, dass es ihm komisch vorkam. Dieser Trend schien auch wieder eine neue Lebart aus dem Ausland zu sein, denn viele der Gegenstände passten nun mal so gar nicht zu seinen Geschmack. Zudem mutete es in seinen Augen seltsam an, wie die feinen Herren und Damen dort so standen, stumm ein Gemälde betrachteten und beiläufig ein süßes Gebäck in den Mund schoben, das sie betont besonnen kauten; vor Kurzem noch hatten die Leute die kleinen Konfekte nicht schnell genug in die Wangentasche schieben können, um den Mund wieder frei zu haben für den eigentlichen Anlass eines jeden gesellschaftlichen Treffens: den Tratsch.
Aber die Leute schienen so begierig darauf zu sein, von einer Ausstellung zur nächsten zu hetzen, dass sich die Veranstalter schlichtweg überboten. Die feinen Bretonen nannten sowas ja eine Vernissage (wobei man Schwierigkeiten hatte sich die Lordsires in einer eben solchen vorzustellen). In ganz Jarlow-Stadt sah man Einladungen zu Eröffnungen von jener großen Ausstellung oder der Präsentation von diesem oder jenem einzigartigem Weltfund. Gerüchte besagten sogar, dass es zu einer handgreiflichen Auseinandersetzung zwischen zwei Kunstmagnaten, so nannte man sich zumindestens, gekommen war, weil zufälligerweise der einzigartige Kopfschmuck einer Prinzessin aus dem Land des ewigen Sandes bei zwei benachbarten Empfängen gleichzeitig ausgestellt worden war. Dies war einer der größeren Skandale.
Für Silvio war das ja nichts, er bevorzugte immer noch das Theater. Da wusste man wenigstens, wann man lachen, weinen oder empört aufstehen sollte (mal nacheinander, mal gleichzeitig). Für ein paar Kupfer hatte er einmal im Monat gute Unterhaltung und musste nicht an eine Wand starren und hoffen, dass sich ihm der tiefere Sinn, wieso jemand alte Sandalen auf einer Säule zeigte, irgendwann erschloss.
Aber er zuckte nur mit den Schultern über die Gebaren der hohen Leute und freute sich, solange diese neue Modeerscheinung anhielt. Sie bedeutete ein feines Extrakupfer, und da wäre er der Letzte, der sich beschwerte.
====={{anchor name="14" h2=}}Mohnbrot und Spiele=====
Zeit: Spätsommer 222 ndGFdB
Wichtige Orte: Jarlow Stadt, Casa Panaficadora
Wichtige Personen: Silvio Harinero - Bäckermeister der Mohnbäckerei
An der weißen Leinenschürze, befleckt vom Mehl, rieb er seine Hände ab und griff nach dem Stiel seines Brotschiebers. Dieses aus massivem Olivenholz gefertigte, schippenartige Werkzeug war schon sehr lange im Besitz seiner Familie, so lang, dass Jarlow-Ciudad noch ein Möwenschiss auf der Landkarte gewesen war. Er genoss das Gefühl von dem glattem Holz, geschmirgelt vom Mehl und den gut ausbalancierten Schwerpunkt. Gerade wenn er die schweren Brote und Brötchen, die noch am meisten Hitze brauchten, frühmorgens in den Ofen schob, hantierte er am liebsten mit dem Schieber. Er war gleichzeitig ein Symbol seiner Gilde, obwohl einige seiner Kollegen sagen würden, dass er eher Zuckerbäcker sei und damit dieses Symbols nicht würdig war, aber gegen diese Geringschätzung würde er bis auf das Blut vorgehen.
Wenn die letzte Fuhre gleich fertig gebacken sein würde, würde der zweite Teil seines langen Arbeitstages beginnen, einzig unterbrochen von einer kleinen Pause, die er jetzt begann. Er hängte seine Schürze an den Haken in seiner Bäckerei, klaubte ein kleines Lederetui aus der Tasche und verließ die Casa Panaficadora durch einen Hinterausgang und setzte sich in das kleine Atrium, welches sich zwischen den hohen Häusern bildete.
Gleich würde der Ofen ganz seiner Frau Lucía gehören, die mit den feinen Mohn-Köstlichkeiten begann, nach denen sich vor allem die Nachmittagsgesellschaften sehnten: Törtchen, Striezel, Kanonenbällchen und Zöpfe, alles mit Mohn versehen. Diese waren schnell gebacken und so ganz frisch für den Direktverzehr. Er räusperte sich und schlug das Etui auf und begann routiniert sein Pfeifchen zu stopfen.
Immer zu dieser Jahreszeit kam er in einen Zwiespalt - mochte er den Sommer oder nicht? Zum einen war es nicht lange dunkel, wenn er zur dritten Stunde aufwachte, um den Ofen anzufeuern. Zum anderen war es schon früh in seiner Backstube so heiß, dass er gar nicht genug trinken konnte, um die Hitze auszuhalten. Aber er kam zu dem Schluss… es ist wie es ist.
Er betrachtete den Hinterhof, und ihm gefiel, was er sah. Früher war es hier nur bedingt gemütlich. Es gab diese zwei Steinbänke, hölzerne Regentonnen und einen kleinen Baum in einem Kübel in der Mitte. Irgendetwas Hitzebeständiges, Knorriges rankte in der Mitte Richtung Himmel.
Nun aber, seit einigen Tagen, schaute man sich diese Pracht an!, gab es überall Mohnblumen. In strahlendem Rot wogten sie sich in der flirrenden Luft, die sich durch das kleine Hintertor hinein verirrte. Silvio liebte diese Blüte; sie ernährte seine Familie auf die eine oder andere Weise. Und jetzt konnte er sie sogar hier genießen und nicht nur das veredelte Endprodukt.
Er hatte schon gerätselt, was es damit auf sich hat, aber seine kluge Ehefrau Lucía hatte ihm zischend erklärt, dass es Dinge gab, über die er sich lieber nicht laut Gedanken machen sollte. So akzeptierte er für sich die Erklärung, dass es eine Entschuldigung seiner Nachbarn war, die ihm diese Blumenpracht in den Hinterhof gepflanzt hatten. Denn er war vor einigen Nächten durch Rumpeln und Stimmengewirr gegen Mitternacht geweckt worden. Als er aber in das Treppenhaus gespäht hatte, hatte er sich dafür entschieden, sich sofort wieder hinzulegen und einfach nicht darüber nachzudenken, was er dort gesehen hatte.
Manchmal vermisste er jedoch das Lachen und Jauchzen, sowie Kinderkrakeelen im Hausflur. Nicht, dass das Haus leer stand. Manchmal hörte man Fußgestampfe, Stimmen und sah vielleicht Schatten huschen, aber man wohnte nicht mehr richtig zusammen als Nachbarn. Die Señores, die er jetzt manchmal dort sah, grüßten zwar morgens, aber sie kauften nicht bei ihm ein, und auch die Herzlichkeit war irgendwie mit den Frauen und Kindern verschwunden. Aber wie gesagt… Manchmal konnte man die Dinge nicht beeinflussen.
Lange hatte er keine Zeit mehr zu philosophieren. Seine Pfeife war schon fast zu Ende gepafft und er musste sich sputen. Zum Alltagsgeschäft der Marktbesucher, die sich ihren Bauch mit seinen exquisiten Leckereien füllten, Anwohnern die ihre Vorratskammern mit seinen Waren füllten, ausländischen Besuchern, welche die Schiffe in seinen Laden spülten, kam eine neue Reihe von Aufträgen hinzu.
Seit dem Spätsommer häuften sich die Anfragen in seinem Laden, dass er für Empfänge und Feiern kleine Köstlichkeiten zubereiten sollte. Nicht dass Silvio das wunderte - er hatte schon öfters für Bankette seine Backwaren geliefert. Aber hier schien der Anlass zwar ein gesellschaftlicher zu sein, doch schien es neuerdings eher um Kunst zu gehen.
Seit einigen Wochen lieferte er also Körbe voller süßer kleiner Häppchen in große Casas, oder gar öffentliche Gebäude, aus. Die Gäste begutachteten voller Interesse Gegenstände, Gemälde, Statuen oder teilweise kleine beschriebene Dokumente mit einer solchen Hingabe, dass es ihm komisch vorkam. Dieser Trend schien auch wieder eine neue Lebart aus dem Ausland zu sein, denn viele der Gegenstände passten nun mal so gar nicht zu seinen Geschmack. Zudem mutete es in seinen Augen seltsam an, wie die feinen Herren und Damen dort so standen, stumm ein Gemälde betrachteten und beiläufig ein süßes Gebäck in den Mund schoben, das sie betont besonnen kauten; vor Kurzem noch hatten die Leute die kleinen Konfekte nicht schnell genug in die Wangentasche schieben können, um den Mund wieder frei zu haben für den eigentlichen Anlass eines jeden gesellschaftlichen Treffens: den Tratsch.
Aber die Leute schienen so begierig darauf zu sein, von einer Ausstellung zur nächsten zu hetzen, dass sich die Veranstalter schlichtweg überboten. Die feinen Bretonen nannten sowas ja eine Vernissage (wobei man Schwierigkeiten hatte sich die Lordsires in einer eben solchen vorzustellen). In ganz Jarlow-Stadt sah man Einladungen zu Eröffnungen von jener großen Ausstellung oder der Präsentation von diesem oder jenem einzigartigem Weltfund. Gerüchte besagten sogar, dass es zu einer handgreiflichen Auseinandersetzung zwischen zwei Kunstmagnaten, so nannte man sich zumindestens, gekommen war, weil zufälligerweise der einzigartige Kopfschmuck einer Prinzessin aus dem Land des ewigen Sandes bei zwei benachbarten Empfängen gleichzeitig ausgestellt worden war. Dies war einer der größeren Skandale.
Für Silvio war das ja nichts, er bevorzugte immer noch das Theater. Da wusste man wenigstens, wann man lachen, weinen oder empört aufstehen sollte (mal nacheinander, mal gleichzeitig). Für ein paar Kupfer hatte er einmal im Monat gute Unterhaltung und musste nicht an eine Wand starren und hoffen, dass sich ihm der tiefere Sinn, wieso jemand alte Sandalen auf einer Säule zeigte, irgendwann erschloss.
Aber er zuckte nur mit den Schultern über die Gebaren der hohen Leute und freute sich, solange diese neue Modeerscheinung anhielt. Sie bedeutete ein feines Extrakupfer, und da wäre er der Letzte, der sich beschwerte.
Revision [2788]
Edited on 2022-04-27 22:16:16 by MarcelloCastellaniAdditions:
{{anchor target="13" text="12. Geschichte über den Fusel"}}
Deletions:
Revision [2787]
Edited on 2022-04-27 20:14:16 by MarcelloCastellaniAdditions:
{{anchor target="12" text="12. Geschichte über den Fusel"}}
====={{anchor name="13" h2=}}Geschichte über den Fusel=====
Zeit: Spätsommer 221 ndGFdB
Es war einer dieser schon etwas kühleren Spätsommerabende in Jarlow-Ciudad, an denen die Sonne langsam merklich früher hinter den Häusern der in den Hang gebauten Vorstadt versinkt und die Temperaturen soweit abfallen, dass man sich vielleicht lieber noch eine weitere Schicht über sein Gewand zieht.
Leo zog den Kragen ihres abgetragenen Umhangs etwas enger zusammen, als sie vom noch von letzten Sonnenstrahlen gewärmten Marktplatz in die schmale und schattige kleine Gasse einbog, die hinab zum Fusel und dem an ihm entlang laufenden Fuselrandweg führte. Schon am Anfang der Gasse schlug ihr der Odor dieses speziellen Flüsschens entgegen, der sich als kleiner Seitenarm des Schurans seinen Weg durch die Stadt windet. Seinen Namen verdankt er der Tatsache, dass sich sämtliche Brauereien und Schnapsbrennereien der Stadt ihrer unbrauchbaren Nebenprodukte in ihn entledigen, ob das nun Abwässer, Maische oder kaputte Reifefässer sind. Dank dieser Begebenheit entströmt dem Fusel stets ein nur ihm eigener Geruch, der allein schon das Potenzial hat, einem gehörig die Sinne zu vernebeln — daher sollte man von einem Bad in diesem Flüsschen unbedingt absehen. Trotz seines Gestanks steht der Fusel unter dem Schutz der Stadt, denn er ist die einzige noch bekannte Brutstätte der gemeinen Schnapsschildkröte, die ihre Gelege mit Vorliebe in den derangierten Reifefässern platziert, die am Ufer des Fusels angespült werden und in denen sich der hochprozentige Sand des Ufers ansammelt.
Dies darf man sich aber nicht zu pittoresk vorstellen: Wenn einen in Jarlow-Ciudad jemand zu einem Spaziergang am Fuselrandweg einlädt, sollte man lieber tunlichst Reißaus nehmen — denn solche Spaziergänge enden für gewöhnlich mit mindestens einer Schnapsleiche.
Leo war ein junges Mädchen von etwa elf Sommern und hieß eigentlich Leonita; doch so hatte sie niemand mehr genannt, seit ihre Mutter sie im zarten Alter von fünf Jahren am Marktplatz verlassen hatte.
“Leonita, du wartest hier, ich bin gleich zurück.”
Doch sie kam nicht zurück. Nachdem sie stundenlang vergebens gewartet hatte, hatte Leo mit einiger Mühe den Weg zu dem Haus wiederfinden können, in dem ihre Mutter als Dienstmagd gearbeitet hatte; doch auch nach zwei Tagen intensiver Beobachtung des Dienstboteneingangs war ihre Mutter nicht wieder zurückgekehrt. Leo hatte nie in Erfahrung bringen können, was ihrer Mutter zugestoßen war — manchmal betete sie zu den Ahnen, dass sie einen bittersüßen Tod im Fusel gestorben war, wie so viele andere. Es gab sicherlich schlimmere Arten zu sterben.
Als sie nun in Gedanken an ihre Mutter versunken den Fuselrandweg entlang lief, wurden die gedämpften Stimmen von mindestens drei Männern vom Uferrand zu ihr herauf geweht. Zwei waren leise und kaum zu verstehen, klangen jedoch irgendwie höhnisch. Die dritte hingegen sprach mit einem flehentlichen, panischen Unterton, der immer lauter und schriller wurde. Dann erklang ein Schrei und ein lautes Platschen, gefolgt von Stille. Nur wenige Augenblicke vergingen, bis sich die ersten beiden Stimmen näherten. Leo wusste genau, was sie zu tun hatte: Mucksmäuschenstill kauerte sie sich in einen dunklen Hauseingang zwischen mehrere große Säcke und Kisten, die dem Geruch nach voll mit Unrat sein mussten, und hielt die Luft an. Die beiden Männer liefen direkt an ihr vorbei, waren aber zu sehr in ihr Gespräch vertieft, um sie zu bemerken. Leo konnte nicht viel sehen, außer einem Paar gepflegter, spitz zulaufenden schwarzen Lederstiefeln.
“… aber was, wenn die Alte uns doch gesehen hat? Die wird doch ihr dummes Maul nicht halten … Er war ja schließlich nicht irgendwer! Sein Verschwinden wird Fragen aufwerfen …”
“Mach dir nicht in die Hose, Hermano. Wir gehen jetzt erstmal einen schönen Vino trinken und morgen früh holen wir meine Hemden aus der Reinigung.“ Er blieb stehen und man hörte, wie er sich ein Rauchkraut ansteckte. „Hast du gesehen, dass da eine neue Wäscherei am Marktplatz eröffnet hat?“
„Äh, sí … in der kleinen Gasse direkt neben der Mohnbäckerei …“, seine Verwirrung war ihm deutlich anzuhören.
„Gerüchteweise wird sie von einer Castellani geleitet.“
Schweigen.
“Dort gibt es die weißesten Westen der ganzen Mittellande!”
Stille.
Leo konnte den Kupfer regelrecht fallen hören, als der andere offenbar endlich begriff und in schallendes Gelächter ausbrach.
“Bueno, bueno.”
Der andere klopfte seinem begriffsstutzigen Kumpanen auf die Schulter. Immer noch lachend entfernten sich die zwei dunklen Gestalten von Leos Versteck.
Eine neue Wäscherei? Geführt von den Castellani? Das musste sie sich genauer ansehen. Sie drehte sich um und ging den Weg zurück, den sie gerade erst hergekommen war.
Bis spät in den Abend hatte Leo den Eingang der neuen Wäscherei Vestido Blanco im Blick behalten und die Kundschaft beobachtet, die mit erstaunlich wenig zu waschendem Gepäck bis erstaunlich spät in den Abend hinein das Geschäft betrat und zumeist eine erstaunlich lange Zeit in den Räumlichkeiten verbrachte, bevor sie wieder ihrer Wege ging.
Als Leo am nächsten Morgen bei Tageslicht wiederkam, fiel ihr das kleine Schild in die Augen, das sie gestern im Dunkeln nicht hatte sehen können: Aushilfe gesucht. Kurzentschlossen ging sie hinein.
Hinter dem Tresen saß eine hübsche Frau, die kunstvoll ein rotes Tuch in ihr blondes Haar geschlungen hatte, das ein kleiner Hut bedeckte, und die Leo schon öfter in der Stadt gesehen hatte. Sie war in irgendwelche Dokumente vertieft, blickte aber auf, als das Türglöckchen erklang, klappte das Buch zu, in dem sie gerade etwas notiert hatte, und sah das junge Mädchen mit erwartungsvoll hochgezogener Augenbraue an.
“Holá Señorita. Wie kann ich dir helfen?”
“Ich suche Arbeit.”
“Ach, sieh an. Was kannst du denn?”
“Was soll ich denn können?”
Die Frau konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen.
“Du kannst also lesen und bist nicht auf den Mund gefallen. Das sind schon mal gute Voraussetzungen.” Sie neigte den Kopf leicht zur Seite, während sie Leo musterte, und schien eine Entscheidung abzuwägen. “Komm mit.”
Sie stand auf und ging zu einem Durchgang, der von einem schweren Vorhang abgeschirmt wurde, und bedeutete Leo, ihr zu folgen. Sie schob den schwarzen Stoff zur Seite und das junge Mädchen folgte ihr in den hinteren, deutlich dunkleren Bereich des Ladens. Es ging einen schmalen Gang entlang und schließlich in einen kleinen fensterlosen Nebenraum, in dem ein von Kerzen erhellter Tisch stand. Vor dem Tisch saßen zwei Herren, die sich nun zu ihr umdrehten und sie stirnrunzelnd musterten; auf der andern Seite saß eine Frau mit einem schwarzen Kopftuch, dessen rot leuchtendes C Leo nicht gebraucht hätte, um sie zu identifizieren. Offenbar hatten sie gerade ein intensives Gespräch unterbrochen. Ihr war unwohl, so unverhofft im Mittelpunkt zu stehen, und sie senkte den Blick — auf ein Paar gepflegter, spitz zulaufender schwarzer Lederstiefel. Leo ließ sich nichts anmerken.
“Diese junge Dame sucht Arbeit,” verkündete die blonde Dame den Grund der Unterbrechung.
“So, so.” Die Castellani musterte Leo eingehend.
“Nun. Vielleicht kannst du uns weiterhelfen. Hast du diese beiden Herren schon einmal gesehen?”
Leo hob kurz den Blick, um die Männer flüchtig zu betrachten, senkte den Blick wieder auf die Stiefel und schüttelte dann den Kopf.
“No, Señora.”
“Doch, das hast du,” sagte die Señora Castellani so bestimmt, dass Leos Blick hoch schnellte und sie sie erschrocken anstarrte.
“Gestern Abend hast du im Tanzenden Eber in der Küche ausgeholfen,” fuhr die Castellani ungerührt fort. “Als du kurz nach Sonnenuntergang die Abfälle hinausgebracht hast, hat dieser Herr den anderen gestützt, als er sich kaum noch auf den Beinen halten konnte und im Innenhof frische Luft schnappen wollte.”
Leo starrte sie an. Der als Trunkenbold deklarierte protestierte. “Das soll ein wasserdichtes Alibi sein? Wer soll denn so einer dahergelaufenen Göre glauben?!”
Der mit den schwarzen Stiefeln herrschte seinen Kumpel an. “Halt den Mund, Guillaume!” Und an die Sprecherin gewandt sagte er: “Bitte verzeiht meinem Partner, Señora Castellani.”
Diese lächelte kaum merklich. Seelenruhig sagte sie: “Nur keine Sorge. Eine stabile Brücke wird nicht von einem einzigen dicken Pfosten getragen, sondern von vielen kleineren.”
Sie wandte sich an Leo. “Heute Abend zur sechsten Stunde wirst du dich bei Paolo im Tanzenden Eber melden. Gib ihm das.” Die Castellani notierte etwas auf einem Zettel, faltete ihn einmal und reichte ihn ihr. Dann nickte sie ihrer Geschäftspartnerin zu. Diese schob Leo wieder hinaus aus dem Hinterzimmer und durch den Gang und zurück in das eigentliche Geschäft.
Dort sagte sie zu Leo: “Also, Pequeña. Wenn ich dich jetzt fragte, wie viele Personen du in diesem Geschäft gesehen hast, was würdest du antworten?”
“Nur Euch, Señora,” sagte Leo ohne zu zögern.
“Bueno. Komm morgen zur selben Zeit wieder her. Und nun hinaus mit dir!”
Draußen atmete Leo tief ein und erleichtert wieder aus. Dann öffnete sie den kleinen Zettel, den die Castellani ihr für diesen Paolo gegeben hatte. Es war ein Abholschein der Wäscherei mit der Nummer 34.
====={{anchor name="13" h2=}}Geschichte über den Fusel=====
Zeit: Spätsommer 221 ndGFdB
Es war einer dieser schon etwas kühleren Spätsommerabende in Jarlow-Ciudad, an denen die Sonne langsam merklich früher hinter den Häusern der in den Hang gebauten Vorstadt versinkt und die Temperaturen soweit abfallen, dass man sich vielleicht lieber noch eine weitere Schicht über sein Gewand zieht.
Leo zog den Kragen ihres abgetragenen Umhangs etwas enger zusammen, als sie vom noch von letzten Sonnenstrahlen gewärmten Marktplatz in die schmale und schattige kleine Gasse einbog, die hinab zum Fusel und dem an ihm entlang laufenden Fuselrandweg führte. Schon am Anfang der Gasse schlug ihr der Odor dieses speziellen Flüsschens entgegen, der sich als kleiner Seitenarm des Schurans seinen Weg durch die Stadt windet. Seinen Namen verdankt er der Tatsache, dass sich sämtliche Brauereien und Schnapsbrennereien der Stadt ihrer unbrauchbaren Nebenprodukte in ihn entledigen, ob das nun Abwässer, Maische oder kaputte Reifefässer sind. Dank dieser Begebenheit entströmt dem Fusel stets ein nur ihm eigener Geruch, der allein schon das Potenzial hat, einem gehörig die Sinne zu vernebeln — daher sollte man von einem Bad in diesem Flüsschen unbedingt absehen. Trotz seines Gestanks steht der Fusel unter dem Schutz der Stadt, denn er ist die einzige noch bekannte Brutstätte der gemeinen Schnapsschildkröte, die ihre Gelege mit Vorliebe in den derangierten Reifefässern platziert, die am Ufer des Fusels angespült werden und in denen sich der hochprozentige Sand des Ufers ansammelt.
Dies darf man sich aber nicht zu pittoresk vorstellen: Wenn einen in Jarlow-Ciudad jemand zu einem Spaziergang am Fuselrandweg einlädt, sollte man lieber tunlichst Reißaus nehmen — denn solche Spaziergänge enden für gewöhnlich mit mindestens einer Schnapsleiche.
Leo war ein junges Mädchen von etwa elf Sommern und hieß eigentlich Leonita; doch so hatte sie niemand mehr genannt, seit ihre Mutter sie im zarten Alter von fünf Jahren am Marktplatz verlassen hatte.
“Leonita, du wartest hier, ich bin gleich zurück.”
Doch sie kam nicht zurück. Nachdem sie stundenlang vergebens gewartet hatte, hatte Leo mit einiger Mühe den Weg zu dem Haus wiederfinden können, in dem ihre Mutter als Dienstmagd gearbeitet hatte; doch auch nach zwei Tagen intensiver Beobachtung des Dienstboteneingangs war ihre Mutter nicht wieder zurückgekehrt. Leo hatte nie in Erfahrung bringen können, was ihrer Mutter zugestoßen war — manchmal betete sie zu den Ahnen, dass sie einen bittersüßen Tod im Fusel gestorben war, wie so viele andere. Es gab sicherlich schlimmere Arten zu sterben.
Als sie nun in Gedanken an ihre Mutter versunken den Fuselrandweg entlang lief, wurden die gedämpften Stimmen von mindestens drei Männern vom Uferrand zu ihr herauf geweht. Zwei waren leise und kaum zu verstehen, klangen jedoch irgendwie höhnisch. Die dritte hingegen sprach mit einem flehentlichen, panischen Unterton, der immer lauter und schriller wurde. Dann erklang ein Schrei und ein lautes Platschen, gefolgt von Stille. Nur wenige Augenblicke vergingen, bis sich die ersten beiden Stimmen näherten. Leo wusste genau, was sie zu tun hatte: Mucksmäuschenstill kauerte sie sich in einen dunklen Hauseingang zwischen mehrere große Säcke und Kisten, die dem Geruch nach voll mit Unrat sein mussten, und hielt die Luft an. Die beiden Männer liefen direkt an ihr vorbei, waren aber zu sehr in ihr Gespräch vertieft, um sie zu bemerken. Leo konnte nicht viel sehen, außer einem Paar gepflegter, spitz zulaufenden schwarzen Lederstiefeln.
“… aber was, wenn die Alte uns doch gesehen hat? Die wird doch ihr dummes Maul nicht halten … Er war ja schließlich nicht irgendwer! Sein Verschwinden wird Fragen aufwerfen …”
“Mach dir nicht in die Hose, Hermano. Wir gehen jetzt erstmal einen schönen Vino trinken und morgen früh holen wir meine Hemden aus der Reinigung.“ Er blieb stehen und man hörte, wie er sich ein Rauchkraut ansteckte. „Hast du gesehen, dass da eine neue Wäscherei am Marktplatz eröffnet hat?“
„Äh, sí … in der kleinen Gasse direkt neben der Mohnbäckerei …“, seine Verwirrung war ihm deutlich anzuhören.
„Gerüchteweise wird sie von einer Castellani geleitet.“
Schweigen.
“Dort gibt es die weißesten Westen der ganzen Mittellande!”
Stille.
Leo konnte den Kupfer regelrecht fallen hören, als der andere offenbar endlich begriff und in schallendes Gelächter ausbrach.
“Bueno, bueno.”
Der andere klopfte seinem begriffsstutzigen Kumpanen auf die Schulter. Immer noch lachend entfernten sich die zwei dunklen Gestalten von Leos Versteck.
Eine neue Wäscherei? Geführt von den Castellani? Das musste sie sich genauer ansehen. Sie drehte sich um und ging den Weg zurück, den sie gerade erst hergekommen war.
Bis spät in den Abend hatte Leo den Eingang der neuen Wäscherei Vestido Blanco im Blick behalten und die Kundschaft beobachtet, die mit erstaunlich wenig zu waschendem Gepäck bis erstaunlich spät in den Abend hinein das Geschäft betrat und zumeist eine erstaunlich lange Zeit in den Räumlichkeiten verbrachte, bevor sie wieder ihrer Wege ging.
Als Leo am nächsten Morgen bei Tageslicht wiederkam, fiel ihr das kleine Schild in die Augen, das sie gestern im Dunkeln nicht hatte sehen können: Aushilfe gesucht. Kurzentschlossen ging sie hinein.
Hinter dem Tresen saß eine hübsche Frau, die kunstvoll ein rotes Tuch in ihr blondes Haar geschlungen hatte, das ein kleiner Hut bedeckte, und die Leo schon öfter in der Stadt gesehen hatte. Sie war in irgendwelche Dokumente vertieft, blickte aber auf, als das Türglöckchen erklang, klappte das Buch zu, in dem sie gerade etwas notiert hatte, und sah das junge Mädchen mit erwartungsvoll hochgezogener Augenbraue an.
“Holá Señorita. Wie kann ich dir helfen?”
“Ich suche Arbeit.”
“Ach, sieh an. Was kannst du denn?”
“Was soll ich denn können?”
Die Frau konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen.
“Du kannst also lesen und bist nicht auf den Mund gefallen. Das sind schon mal gute Voraussetzungen.” Sie neigte den Kopf leicht zur Seite, während sie Leo musterte, und schien eine Entscheidung abzuwägen. “Komm mit.”
Sie stand auf und ging zu einem Durchgang, der von einem schweren Vorhang abgeschirmt wurde, und bedeutete Leo, ihr zu folgen. Sie schob den schwarzen Stoff zur Seite und das junge Mädchen folgte ihr in den hinteren, deutlich dunkleren Bereich des Ladens. Es ging einen schmalen Gang entlang und schließlich in einen kleinen fensterlosen Nebenraum, in dem ein von Kerzen erhellter Tisch stand. Vor dem Tisch saßen zwei Herren, die sich nun zu ihr umdrehten und sie stirnrunzelnd musterten; auf der andern Seite saß eine Frau mit einem schwarzen Kopftuch, dessen rot leuchtendes C Leo nicht gebraucht hätte, um sie zu identifizieren. Offenbar hatten sie gerade ein intensives Gespräch unterbrochen. Ihr war unwohl, so unverhofft im Mittelpunkt zu stehen, und sie senkte den Blick — auf ein Paar gepflegter, spitz zulaufender schwarzer Lederstiefel. Leo ließ sich nichts anmerken.
“Diese junge Dame sucht Arbeit,” verkündete die blonde Dame den Grund der Unterbrechung.
“So, so.” Die Castellani musterte Leo eingehend.
“Nun. Vielleicht kannst du uns weiterhelfen. Hast du diese beiden Herren schon einmal gesehen?”
Leo hob kurz den Blick, um die Männer flüchtig zu betrachten, senkte den Blick wieder auf die Stiefel und schüttelte dann den Kopf.
“No, Señora.”
“Doch, das hast du,” sagte die Señora Castellani so bestimmt, dass Leos Blick hoch schnellte und sie sie erschrocken anstarrte.
“Gestern Abend hast du im Tanzenden Eber in der Küche ausgeholfen,” fuhr die Castellani ungerührt fort. “Als du kurz nach Sonnenuntergang die Abfälle hinausgebracht hast, hat dieser Herr den anderen gestützt, als er sich kaum noch auf den Beinen halten konnte und im Innenhof frische Luft schnappen wollte.”
Leo starrte sie an. Der als Trunkenbold deklarierte protestierte. “Das soll ein wasserdichtes Alibi sein? Wer soll denn so einer dahergelaufenen Göre glauben?!”
Der mit den schwarzen Stiefeln herrschte seinen Kumpel an. “Halt den Mund, Guillaume!” Und an die Sprecherin gewandt sagte er: “Bitte verzeiht meinem Partner, Señora Castellani.”
Diese lächelte kaum merklich. Seelenruhig sagte sie: “Nur keine Sorge. Eine stabile Brücke wird nicht von einem einzigen dicken Pfosten getragen, sondern von vielen kleineren.”
Sie wandte sich an Leo. “Heute Abend zur sechsten Stunde wirst du dich bei Paolo im Tanzenden Eber melden. Gib ihm das.” Die Castellani notierte etwas auf einem Zettel, faltete ihn einmal und reichte ihn ihr. Dann nickte sie ihrer Geschäftspartnerin zu. Diese schob Leo wieder hinaus aus dem Hinterzimmer und durch den Gang und zurück in das eigentliche Geschäft.
Dort sagte sie zu Leo: “Also, Pequeña. Wenn ich dich jetzt fragte, wie viele Personen du in diesem Geschäft gesehen hast, was würdest du antworten?”
“Nur Euch, Señora,” sagte Leo ohne zu zögern.
“Bueno. Komm morgen zur selben Zeit wieder her. Und nun hinaus mit dir!”
Draußen atmete Leo tief ein und erleichtert wieder aus. Dann öffnete sie den kleinen Zettel, den die Castellani ihr für diesen Paolo gegeben hatte. Es war ein Abholschein der Wäscherei mit der Nummer 34.
Revision [2783]
Edited on 2021-08-01 15:50:41 by MarcelloCastellaniNo differences.
Revision [2782]
Edited on 2021-08-01 15:49:43 by MarcelloCastellaniAdditions:
{{anchor target="12" text="11. Flores y amores"}}
====={{anchor name="12" h2=}}Flores y amores=====
Zeit: später Winter 221 ndGFdB
Wichtige Personen: **Aleja, Abuelita Ruiz Perez **
“Maldito!” Aleja schob sich reflexartig ihren Zeigefinger in den Mund und schmeckte den blechernen Geschmack ihres Bluts. Derart ungeschickt hatte sie sich bestimmt seit einem Jahr nicht mehr angestellt und sie schüttelte innerlich über sich selbst den Kopf. Ihre Mutter warf ihr nur kurz einen bedeutsamen Blick zu, aber auch ohne diesen wusste Aleja, dass sie nun abwarten musste, bis der feine Schnitt in ihrem Finger aufhören würde zu bluten. Allzu schnell würde sie sonst nur das wertvolle, seidenfeine Papier, an dem sie sich soeben geschnitten hatte, ruinieren und damit auch die Handwerksarbeit der vier Frauen, die hier beisammen saßen. Bei den einfachen, gröberen Stoffblüten wäre dies vielleicht verzeihlich gewesen, nicht aber bei den delikaten Papierblüten, die ihre Abnehmerschaft besonders in der oberen Gesellschaft der Großstädte fand. Aleja hatte es nie so recht verstanden, weshalb ausgerechnet die anfälligen und kurzlebigen Papierblüten besonders bei den besser betuchten Kundinnen und Kunden reißenden Absatz fanden, während die Stoffblüten, denen auch ein kleiner Regenschauer nichts anhaben konnte, zu deutlich geringeren Preisen veräußert wurden, obwohl sie oftmals um ein Vieles langlebiger waren.
“Es ist eine Frage des Materialwerts einerseits”, hatte ihre Mutter erklärt. Diesen Aspekt hatte Aleja noch verstanden, da sie wusste, dass das Seidenpapier viel teurer im Einkauf war als die Stoffreste, aus denen die Blüten zusammengenäht wurden. Zudem war mehr kunstfertiges Geschick in den Falttechniken gefragt. Es erschloss sich ihr aber nicht, was ihre Mutter dann weiter erläuterte: “Außerdem ist es eine Frage des Status sich Dinge leisten zu wollen, von denen man weiß, dass sie nur kurz währen. Man drückt damit aus, dass man sich jederzeit Ersatz leisten kann.” Aleja fand das äußerst unsinnig. Sie träumte davon eine ganz bestimmt Blüte aus Stoff geschenkt zu bekommen, damit sie sich diese anschließend anstecken und sie aller Welt zeigen könnte und jeder um ihre Liebe wüsste… Was hätte sie davon, wenn sie diese in einem Kästchen versteckt hegen müsste, immer in der Angst, dass sie zerreißen würde?
“Ich weiß, an wen du grade denkst”, neckte ihre Cousine Fernanda sie. Jäh schreckte Aleja aus ihren Gedanken und fühlte sich ertappt, was sogleich eine leichte Röte auf ihren Wangen bezeugte. Sie tat, als hätte sie ihre Cousine nicht gehört und pustete stattdessen über ihren Finger, um sicherzustellen, dass kein weiteres Blut hervortreten würde. “Ihr jungen Frauen habt es heute so einfach”, sinnierte Abuelita plötzlich und faltete doch mit einer Schnelligkeit und einem Geschick die nächste zartrosa farbene Blüte weiter, dass Aleja für einen Moment fast vergaß, dass die alte Frau kaum mehr etwas sehen konnte. Aber sie hatte bereits ihr ganzes Leben diese Blüten gefertigt, dass sie schon gar nicht mehr über das nachzudenken schien, was ihre Hände taten. “Wie meinst du das?”, hakte Fernanda nach. “Meinst du, die Männer sind heute alle stattlicher, stärker, reicher und treuer als früher?”, fügte sie träumerisch hinzu. “Mach dich nicht lächerlich, Männer sind Männer. Si quieres el perro, acepta las pulgas”, wischte Abuelita den Gedanken fort. Wer den Hund will, muss die Flöhe akzeptieren. “Aber Frauen sind anders geworden. Ich habe von Frauen in der Hauptstadt gehört, die Kniebundhosen mit Schleifen über hübschen Strümpfen tragen. Die selbst in den Räten und Zünften sitzen und vielleicht öffentlich nicht so laut sprechen wie die Männer, die aber hinter verschlossenen Türen genauso viel zu sagen haben. Die einem Verehrer einfach selbst eine Blume anstecken würden, statt wie ein Trauerkloß darauf zu warten, dass etwas passiert.” Nun richtete sie ihren durchdringenden Blick auf Aleja, auch wenn diese wusste, dass Abuelita sie unmöglich mit mehr als einer Armlänge Abstand erkennen konnte. Manchmal war diese Frau geradezu unheimlich. “Ich bin kein Trauerkloß”, murmelte Aleja nur.
“Abuelita, du solltest aufhören den Mädchen derartige Flausen in den Kopf zu setzen. Nur weil sich die feinen Herrschaften in El Barrio damit rühmen, selbst im Winter Erdbeeren zu essen, heißt das noch lange nicht, dass dies für unsereins gilt. Ein Mädchen tut gut daran bescheiden und geduldig zu sein und zu warten - und nicht die ersten Lippen, die es küssen wollen, zu heiraten. Einen Ehemann findet man nicht, wenn man sich den Männern an den Hals wirft”, wandte Alejas Mutter nun ein. “Von heiraten habe ich doch auch gar nicht gesprochen”, entgegnete Abuelita halb verschmitzt, halb beleidigt. “Abuelita!”
Fernanda lachte schallend auf, was ihr erst recht einen tadelnden Blick ihrer Tante einhandelte. Aber Aleja verstand ihre Mutter nur zu gut. Sie würde niemals sein wie diese Frauen, von denen ihre Großmutter da gesprochen hatte. Sie würde weiter darauf hoffen, dass Mateo, den sie bereits ihr Leben lang als Freund ihres Cousins kannte, sie endlich mit anderen Augen ansehen würde und nicht, als sei sie seine kleine Schwester. Sie würde ihm weiter zum Beginn eines neuen Jahres ganz unverbindlich eine Pfirsichblüte für eine gute Ernte anstecken, so wie man es mit guten Bekannten und Freunden in Empinar el Codo, das mehr von der Landwirtschaft lebte als jeder andere Teil Jarlows, eben tat. Sie würde weiter davon träumen, wie er ihr eine Fliederblüte, oder besser noch ein zartes Veilchen anstecken würde…
“Willst du nun eigentlich den ganzen Tag noch so da sitzen oder uns endlich mal wieder helfen?”, riss ihre Mutter Aleja jäh aus den Gedanken. Schnell schüttelte Aleja ihre Gedanken ab und machte sich wieder ans Werk. Es konnte kurz vor dem Jahreswechsel nicht genügend Blüten geben, und die besten kamen bekanntlich aus Empinar el Codo, aus der Familienmanufaktur von Abuelita Ruiz Perez.
====={{anchor name="12" h2=}}Flores y amores=====
Zeit: später Winter 221 ndGFdB
Wichtige Personen: **Aleja, Abuelita Ruiz Perez **
“Maldito!” Aleja schob sich reflexartig ihren Zeigefinger in den Mund und schmeckte den blechernen Geschmack ihres Bluts. Derart ungeschickt hatte sie sich bestimmt seit einem Jahr nicht mehr angestellt und sie schüttelte innerlich über sich selbst den Kopf. Ihre Mutter warf ihr nur kurz einen bedeutsamen Blick zu, aber auch ohne diesen wusste Aleja, dass sie nun abwarten musste, bis der feine Schnitt in ihrem Finger aufhören würde zu bluten. Allzu schnell würde sie sonst nur das wertvolle, seidenfeine Papier, an dem sie sich soeben geschnitten hatte, ruinieren und damit auch die Handwerksarbeit der vier Frauen, die hier beisammen saßen. Bei den einfachen, gröberen Stoffblüten wäre dies vielleicht verzeihlich gewesen, nicht aber bei den delikaten Papierblüten, die ihre Abnehmerschaft besonders in der oberen Gesellschaft der Großstädte fand. Aleja hatte es nie so recht verstanden, weshalb ausgerechnet die anfälligen und kurzlebigen Papierblüten besonders bei den besser betuchten Kundinnen und Kunden reißenden Absatz fanden, während die Stoffblüten, denen auch ein kleiner Regenschauer nichts anhaben konnte, zu deutlich geringeren Preisen veräußert wurden, obwohl sie oftmals um ein Vieles langlebiger waren.
“Es ist eine Frage des Materialwerts einerseits”, hatte ihre Mutter erklärt. Diesen Aspekt hatte Aleja noch verstanden, da sie wusste, dass das Seidenpapier viel teurer im Einkauf war als die Stoffreste, aus denen die Blüten zusammengenäht wurden. Zudem war mehr kunstfertiges Geschick in den Falttechniken gefragt. Es erschloss sich ihr aber nicht, was ihre Mutter dann weiter erläuterte: “Außerdem ist es eine Frage des Status sich Dinge leisten zu wollen, von denen man weiß, dass sie nur kurz währen. Man drückt damit aus, dass man sich jederzeit Ersatz leisten kann.” Aleja fand das äußerst unsinnig. Sie träumte davon eine ganz bestimmt Blüte aus Stoff geschenkt zu bekommen, damit sie sich diese anschließend anstecken und sie aller Welt zeigen könnte und jeder um ihre Liebe wüsste… Was hätte sie davon, wenn sie diese in einem Kästchen versteckt hegen müsste, immer in der Angst, dass sie zerreißen würde?
“Ich weiß, an wen du grade denkst”, neckte ihre Cousine Fernanda sie. Jäh schreckte Aleja aus ihren Gedanken und fühlte sich ertappt, was sogleich eine leichte Röte auf ihren Wangen bezeugte. Sie tat, als hätte sie ihre Cousine nicht gehört und pustete stattdessen über ihren Finger, um sicherzustellen, dass kein weiteres Blut hervortreten würde. “Ihr jungen Frauen habt es heute so einfach”, sinnierte Abuelita plötzlich und faltete doch mit einer Schnelligkeit und einem Geschick die nächste zartrosa farbene Blüte weiter, dass Aleja für einen Moment fast vergaß, dass die alte Frau kaum mehr etwas sehen konnte. Aber sie hatte bereits ihr ganzes Leben diese Blüten gefertigt, dass sie schon gar nicht mehr über das nachzudenken schien, was ihre Hände taten. “Wie meinst du das?”, hakte Fernanda nach. “Meinst du, die Männer sind heute alle stattlicher, stärker, reicher und treuer als früher?”, fügte sie träumerisch hinzu. “Mach dich nicht lächerlich, Männer sind Männer. Si quieres el perro, acepta las pulgas”, wischte Abuelita den Gedanken fort. Wer den Hund will, muss die Flöhe akzeptieren. “Aber Frauen sind anders geworden. Ich habe von Frauen in der Hauptstadt gehört, die Kniebundhosen mit Schleifen über hübschen Strümpfen tragen. Die selbst in den Räten und Zünften sitzen und vielleicht öffentlich nicht so laut sprechen wie die Männer, die aber hinter verschlossenen Türen genauso viel zu sagen haben. Die einem Verehrer einfach selbst eine Blume anstecken würden, statt wie ein Trauerkloß darauf zu warten, dass etwas passiert.” Nun richtete sie ihren durchdringenden Blick auf Aleja, auch wenn diese wusste, dass Abuelita sie unmöglich mit mehr als einer Armlänge Abstand erkennen konnte. Manchmal war diese Frau geradezu unheimlich. “Ich bin kein Trauerkloß”, murmelte Aleja nur.
“Abuelita, du solltest aufhören den Mädchen derartige Flausen in den Kopf zu setzen. Nur weil sich die feinen Herrschaften in El Barrio damit rühmen, selbst im Winter Erdbeeren zu essen, heißt das noch lange nicht, dass dies für unsereins gilt. Ein Mädchen tut gut daran bescheiden und geduldig zu sein und zu warten - und nicht die ersten Lippen, die es küssen wollen, zu heiraten. Einen Ehemann findet man nicht, wenn man sich den Männern an den Hals wirft”, wandte Alejas Mutter nun ein. “Von heiraten habe ich doch auch gar nicht gesprochen”, entgegnete Abuelita halb verschmitzt, halb beleidigt. “Abuelita!”
Fernanda lachte schallend auf, was ihr erst recht einen tadelnden Blick ihrer Tante einhandelte. Aber Aleja verstand ihre Mutter nur zu gut. Sie würde niemals sein wie diese Frauen, von denen ihre Großmutter da gesprochen hatte. Sie würde weiter darauf hoffen, dass Mateo, den sie bereits ihr Leben lang als Freund ihres Cousins kannte, sie endlich mit anderen Augen ansehen würde und nicht, als sei sie seine kleine Schwester. Sie würde ihm weiter zum Beginn eines neuen Jahres ganz unverbindlich eine Pfirsichblüte für eine gute Ernte anstecken, so wie man es mit guten Bekannten und Freunden in Empinar el Codo, das mehr von der Landwirtschaft lebte als jeder andere Teil Jarlows, eben tat. Sie würde weiter davon träumen, wie er ihr eine Fliederblüte, oder besser noch ein zartes Veilchen anstecken würde…
“Willst du nun eigentlich den ganzen Tag noch so da sitzen oder uns endlich mal wieder helfen?”, riss ihre Mutter Aleja jäh aus den Gedanken. Schnell schüttelte Aleja ihre Gedanken ab und machte sich wieder ans Werk. Es konnte kurz vor dem Jahreswechsel nicht genügend Blüten geben, und die besten kamen bekanntlich aus Empinar el Codo, aus der Familienmanufaktur von Abuelita Ruiz Perez.
Revision [2777]
Edited on 2021-03-01 08:43:05 by MarcelloCastellaniNo differences.
Revision [2776]
Edited on 2021-03-01 08:42:47 by MarcelloCastellaniAdditions:
Paola verstand nicht, worum es ging. „Hija, höre einfach zu, was Tia Maria so alles zu erzählen hat, du kannst viel von ihr lernen.“ Und so hörte Paola zu und lernte, wie man Tränenflecken aus Kopfkissen und Blutspritzer von Ärmelsäumen entfernte, dass abgetrennte Ohren und Finger getrost im Hühnerhof entsorgt werden konnten, ganz Körper hingegen von den Knechten der Schweinefarmbesitzer am Stadtrand ….Paola fragte sich mehr und mehr, bei welchen Leuten ihre Tia arbeitete. Zurück auf dem Eselkarren nahm sie all ihren Mut zusammen und fragte Tia Maria: „Woher weißt du das alles, Tia?“ Die alte Dame dachte kurz nach, lächelte und beugte sich vor und sagte: “Los sordos, ciegos y mudos vivirán en paz durante cien años.“….
Die Tauben, Blinden und Stummen leben hundert Jahre in Frieden.
Die Tauben, Blinden und Stummen leben hundert Jahre in Frieden.
Deletions:
Revision [2775]
Edited on 2021-03-01 08:33:23 by MarcelloCastellaniAdditions:
{{anchor target="11" text="10. Hundert Jahre Frieden"}}
__Paola__ - Wäscherei Mädchen
====={{anchor name="11" h2=}}Hundert Jahre Frieden=====
Wichtige Personen: **Paola **
Wichtige Orte: Jarlow
„Paola, kommst Du?“. Das junge Mädchen schreckte hoch. Ihre Mutter legte, obwohl sie im Gespräch mit Tia Maria versunken war und ein gewaltiger Wäscheberg aus ihrer Kraxe ragte, ein gehöriges Tempo vor. Es war Wochenmitte, und wie jeden Tag zur Wochenmitte trugen die Frauen die Wäsche aus den Häusern der feinen Leute aus der Stadt hinaus, um sie im sauberen Wasser des Schurans im Süden zu waschen, ehe der Fluss sich in der Stadt durch allerlei Unrat in eine Brühe wandelte, aus der man die Wäsche wohl dreckiger rausholte, als sie vorher je gewesen sein könnte. Paola war das erste Mal dabei. Jetzt, wo sie endlich zwölf Jahre alt war, hielt es ihre Mutter wohl für eine gute Idee, dass sie einmal sehen sollte wie es aussah, wenn Waschtag war. Sie waren die Strecke mit einem der zahlreichen Eselkarren gefahren, ehe sie den letzten Teil des Weges zu Fuß zurück legten. Ihre Madre hatte betont, wie wichtig es war eine gute Stelle zu haben. Mit den anderen Frauen, die sie aus ihrer Nachbarschaft kannte, folgten sie einem schmalen Pfad den Hügel hinauf. An der Kuppe angekommen bot sich ihnen der Anblick des gewaltigen Flusses, der sich hier einen Weg bahnte.
In einer Flussbiegung an einer flachen Stelle, wo das Wasser nicht so schnell floss, stellte Madre den Korb nieder, ohne jedoch das Gespräch mit Tia Maria zu unterbrechen. „Maismehl….Maismehl etwas Gips und nicht zu viel Wasser.“ Worüber sprach Tia da? „Wozu das Mehl?“, erwiderte Madre. Tia Maria war eigentlich gar nicht ihre Tante, sondern nur ihre Nachbarin, sie wohnte ganz unten im Mietshaus und war schon sehr alt. Paola kannte sie seit sie auf der Welt war. „Wenn du bloß Gips nimmst, wird es zu hell.“ Es schien nicht um Essen zu gehen….. „Die Farbe der Wände bekommt irgendwann so einen Gelbstich, das fällt aber erst auf, wenn du anfängst mit Gips auszubessern…“ Sie wusste gar nicht, dass sich ihre Tia für das Bauen interessierte. Die Wände in ihrer kleinen Wohnung waren über die Jahre eher grau geworden und hatten unzählige kleine Risse, die nie ausgebessert wurden. „Die Löcher sind ja meisten nicht sehr tief… hol mit einem Messerchen die Kugel heraus, dann den Maismehl-Gips-Brei reinschmieren, glatt streichen - der Rest geht wie von selbst. Und denke daran...“ Als hätte sie es schon unzählige Male gehört, beantwortete ihre Mutter den Satz „….das Blut niemals wegwischen sondern immer wegtupfen.“ Die beiden Frauen brachen in schallendes Gelächter aus.
Paola verstand nicht, worum es ging. „Hija, höre einfach zu, was Tia Maria so alles zu erzählen hat, du kannst viel von ihr lernen.“ Und so hörte Paola zu und lernte, wie man Tränenflecken aus Kopfkissen und Blutspritzer von Ärmelsäumen entfernte, dass abgetrennte Ohren und Finger getrost im Hühnerhof entsorgt werden konnten, ganz Körper hingegen von den Knechten der Schweinefarmbesitzer am Stadtrand ….Paola fragte sich mehr und mehr, bei welchen Leuten ihre Tia arbeitete. Zurück auf dem Eselkarren nahm sie all ihren Mut zusammen und fragte Tia Maria: „Woher weißt du das alles, Tia?“ Die alte Dame dachte kurz nach, lächelte und beugte sich vor und sagte: “Los sordos, ciegos y mudos vivirán en paz durante cien años.“…. Die Tauben, Blinden und Stummen leben hundert Jahre in Frieden.
__Paola__ - Wäscherei Mädchen
====={{anchor name="11" h2=}}Hundert Jahre Frieden=====
Wichtige Personen: **Paola **
Wichtige Orte: Jarlow
„Paola, kommst Du?“. Das junge Mädchen schreckte hoch. Ihre Mutter legte, obwohl sie im Gespräch mit Tia Maria versunken war und ein gewaltiger Wäscheberg aus ihrer Kraxe ragte, ein gehöriges Tempo vor. Es war Wochenmitte, und wie jeden Tag zur Wochenmitte trugen die Frauen die Wäsche aus den Häusern der feinen Leute aus der Stadt hinaus, um sie im sauberen Wasser des Schurans im Süden zu waschen, ehe der Fluss sich in der Stadt durch allerlei Unrat in eine Brühe wandelte, aus der man die Wäsche wohl dreckiger rausholte, als sie vorher je gewesen sein könnte. Paola war das erste Mal dabei. Jetzt, wo sie endlich zwölf Jahre alt war, hielt es ihre Mutter wohl für eine gute Idee, dass sie einmal sehen sollte wie es aussah, wenn Waschtag war. Sie waren die Strecke mit einem der zahlreichen Eselkarren gefahren, ehe sie den letzten Teil des Weges zu Fuß zurück legten. Ihre Madre hatte betont, wie wichtig es war eine gute Stelle zu haben. Mit den anderen Frauen, die sie aus ihrer Nachbarschaft kannte, folgten sie einem schmalen Pfad den Hügel hinauf. An der Kuppe angekommen bot sich ihnen der Anblick des gewaltigen Flusses, der sich hier einen Weg bahnte.
In einer Flussbiegung an einer flachen Stelle, wo das Wasser nicht so schnell floss, stellte Madre den Korb nieder, ohne jedoch das Gespräch mit Tia Maria zu unterbrechen. „Maismehl….Maismehl etwas Gips und nicht zu viel Wasser.“ Worüber sprach Tia da? „Wozu das Mehl?“, erwiderte Madre. Tia Maria war eigentlich gar nicht ihre Tante, sondern nur ihre Nachbarin, sie wohnte ganz unten im Mietshaus und war schon sehr alt. Paola kannte sie seit sie auf der Welt war. „Wenn du bloß Gips nimmst, wird es zu hell.“ Es schien nicht um Essen zu gehen….. „Die Farbe der Wände bekommt irgendwann so einen Gelbstich, das fällt aber erst auf, wenn du anfängst mit Gips auszubessern…“ Sie wusste gar nicht, dass sich ihre Tia für das Bauen interessierte. Die Wände in ihrer kleinen Wohnung waren über die Jahre eher grau geworden und hatten unzählige kleine Risse, die nie ausgebessert wurden. „Die Löcher sind ja meisten nicht sehr tief… hol mit einem Messerchen die Kugel heraus, dann den Maismehl-Gips-Brei reinschmieren, glatt streichen - der Rest geht wie von selbst. Und denke daran...“ Als hätte sie es schon unzählige Male gehört, beantwortete ihre Mutter den Satz „….das Blut niemals wegwischen sondern immer wegtupfen.“ Die beiden Frauen brachen in schallendes Gelächter aus.
Paola verstand nicht, worum es ging. „Hija, höre einfach zu, was Tia Maria so alles zu erzählen hat, du kannst viel von ihr lernen.“ Und so hörte Paola zu und lernte, wie man Tränenflecken aus Kopfkissen und Blutspritzer von Ärmelsäumen entfernte, dass abgetrennte Ohren und Finger getrost im Hühnerhof entsorgt werden konnten, ganz Körper hingegen von den Knechten der Schweinefarmbesitzer am Stadtrand ….Paola fragte sich mehr und mehr, bei welchen Leuten ihre Tia arbeitete. Zurück auf dem Eselkarren nahm sie all ihren Mut zusammen und fragte Tia Maria: „Woher weißt du das alles, Tia?“ Die alte Dame dachte kurz nach, lächelte und beugte sich vor und sagte: “Los sordos, ciegos y mudos vivirán en paz durante cien años.“…. Die Tauben, Blinden und Stummen leben hundert Jahre in Frieden.
Revision [2771]
Edited on 2021-02-14 11:42:09 by MarcelloCastellaniAdditions:
{{anchor target="10" text="9. Corporal Ricks Wachdienst"}}
__Corporal Rick__ - Mitglied der Legion Extranjera
====={{anchor name="10" h2=}}Corporal Ricks Wachdienst=====
Wichtige Personen: **Corporal Rick **
Wichtige Orte: Hafenviertel, Casa Panificadora
Corporal Rick war seit annähernd 20 Jahren bei der Legion Extranjera; die meiste Zeit davon hatte er unter Capitano Rastrojo gedient. Heute war sein Wachdienst am Marktplatz in Jarlow-Ciudad, weil er nunmehr etwa die letzten 6 Monate - oder vielleicht auch schon ein halbes Jahr (Rick zählte nie die Tage) - in der ständigen Hafenwache eingeteilt war. Allerdings bewachte keiner der Soldados tatsächlich den Hafen als solchen, sondern vielmehr die Tavernen, so dass niemand bei Schlägereien zu Schaden käme und sich Tavernenschlägereien nicht auf die Straße auswirkten.
Der frische Wind heute Morgen trieb einem den Geruch von den Fischerkähnen in die Nase. An dem Tiefgang konnte Rick erkennen, wie gut der Fang heute war. "Hola Ricky, wir haben heute ein Fass, das aus dem Hafen muss!" Der Satz war fast ein bisschen laut ausgerufen, dabei saß der junge Fischer gar nicht so weit von Corporal Rick entfernt. "Hola Enzo, geht heute nicht, habe Marktwachdienst. Du weißt, keine Geschäfte am Markt, claro!" erwiderte Rick. Enzo entgegnete, jetzt viel leiser: "Claro!", und Rick setzte den Weg fort.
Mannomann, war heute früh schon viel los! Ein paar Minuten unterhielt er sich noch mit einem der Vorarbeiter nahe der Werft. Er hielt direkt auf die zwei hintersten Lagerhäuser zu. An dem Punkt, an dem sich die Außenmauern trafen, hing ein altes Wagenrad mit einer fehlenden Speiche. Dahinter befand sich eine Tür mit einem Brett zugenagelt, das täuschend simulierte, diese Tür sei nicht zu öffnen. Erst wenn man das Rad an seiner Kette zur Seite schwang und weniger als eine Armlänge von der Tür entfernt war, sah man die feinen Fugen, die das Brett in mehrere Stücke trennten. Brett, wie Tür und Rad, glitten an ihren Scharnieren wie geölt. Der Besitzer dieses gar nicht so geheimen Ganges hinter der Tür schien sich gut um die Pflege des Einganges zu kümmern. “Wird ja auch täglich benutzt”, dachte Rick. Bei der Legion war es üblich, dass die handverlesenen Wachhabenden des Marktplatzes sich in die Bibliothek oder auf den Balkon selbiger setzen konnten. Und nun war er auf dem Weg dorthin und nahm wie immer diesen Gang, vorbei an einer kleinen Höhle aus ferner Vergangenheit, einem kleinen Kerkerloch, das nicht mehr benutzt wurde und vorbei an dem größten Weinkeller, den der Corporal je gesehen hatte. Am Ende des langen Ganges duftete es nach Backwerk aus Mohn und Mehl, denn er stand nunmehr am Aufgang neben der Mohnbäckerei der Casa Pan. Auch hier war mächtiges Treiben zu beobachten, die Schlange vor der Bäckerei war wieder einmal ziemlich lang.
Rick stapfte in die Bibliothek und freute sich zu sehen, dass der Hausherr zwar nicht da war, sehr wohl aber an ihn gedacht hatte, und so eine Käseglocke mit einer Notiz "Buen provecho, Corporal" auf einer Resteplatte auf dem Tisch stand. “Dieser Wachdienst beginnt doch perfekt! Nur nicht absolut perfekt…”, dachte sich Rick. Der schwere rote Tropfen mit dem Schlangensymbol darauf würde diese Platte mit Käse absolut perfekt machen... Dem Gedanken folgend begab sich Corporal Rick wieder in den Kellergang und stand plötzlich und völlig unerwartet vor einer verschlossenen Tür, also einer abgeschlossenen... Seit wann schloss Capitano Rastrojo den Weinkeller zu? Corporal Rick griff kurzerhand in seine Gürteltasche und zog ein kleines Messer sowie einen gekrümmten Nagel hervor. Mit einem lauten Klick machte sich jahrelange Übung bezahlt, und das Schloss fiel auf den Boden des Kellers. Nicht lange Suchen, nur Zugreifen, da stand ja schon eine Kiste mit dem Sangre de la Sierpa: "Den Sangre de la Sierpa kannst du jedem anbieten, der schmeckt nicht nur zu Käse, auch nach Bier kannst du ihn trinken!", erinnerte sich der Corporal an den Verkäuferspruch. Das stimmte tatsächlich, die Käseplatte und der Wein ließen den herrlich sonnigen Morgen nur so dahinfliegen. Und vom Balkon aus konnte man ziemlich gut beobachten, ohne selbst in der schweren, rot-schwarzen Uniform der Legion Extranjera zu sehr aufzufallen. Morgens ging es wirklich geschäftig auf dem Markt hin und her, die vielen Bediensteten der Häuser rings um den Markt kauften fleißig Dinge von nah und fern.
Am Nachmittag änderte sich vermeintlich die Anzahl der Personen auf dem Markt nicht, sie erscheint aber viel bunter, je später es wurde. Der Corporal machte einen Einkaufsrundgang zum Weinhändler, eine Straße weiter, und zur Olivenfrau, die mit ihren Stand so nah an einem der herrschaftlichen Häuser aufgebaut hatte, dass man meinen konnte, sie wolle gar keine Kunden an ihrem Stand vorbeigehen haben. Von dort stapfte er wieder zurück über den Platz, grüßte Bekannte mit einem Nicken, einer Verbeugung, dem typischen Handschlag Jarlow-Ciudads oder einem angedeuteten Augenzwinkern.
Zum Ende der Wache hatte Rick den Capitano immer noch nicht gesehen und mit ihm sprechen können, also ging er zurück durch den Gang und ließ an der Weinkellertür die kleine Flasche mit dem hellen Portwein stehen, die er beim Weinhändler erstanden hatte, und drapierte auf ihr das geöffnete Schloss. So konnte er dem Capitano auch ohne eine Notiz zu verstehen geben, wer das Schloss geöffnet hatte, denn schließlich kaufte er immer diesen selben Portwein, wenn er die Möglichkeit hatte, mit Rastrojo anzustoßen. Und so brauchte er nicht schreiben. Schreiben, das war für die feine Gesellschaft oder die "Bügelbretter" der Legion Naval. Es dämmerte schon der nächste Morgen, als Corporal Rick das Wagenrad wieder in Position schob und sich aufmachte zum Bericht der Hafenwache. “Hoffentlich bekomme ich nächste Woche schon eine neue Einteilung für den Markt”, dachte Rick.
__Corporal Rick__ - Mitglied der Legion Extranjera
====={{anchor name="10" h2=}}Corporal Ricks Wachdienst=====
Wichtige Personen: **Corporal Rick **
Wichtige Orte: Hafenviertel, Casa Panificadora
Corporal Rick war seit annähernd 20 Jahren bei der Legion Extranjera; die meiste Zeit davon hatte er unter Capitano Rastrojo gedient. Heute war sein Wachdienst am Marktplatz in Jarlow-Ciudad, weil er nunmehr etwa die letzten 6 Monate - oder vielleicht auch schon ein halbes Jahr (Rick zählte nie die Tage) - in der ständigen Hafenwache eingeteilt war. Allerdings bewachte keiner der Soldados tatsächlich den Hafen als solchen, sondern vielmehr die Tavernen, so dass niemand bei Schlägereien zu Schaden käme und sich Tavernenschlägereien nicht auf die Straße auswirkten.
Der frische Wind heute Morgen trieb einem den Geruch von den Fischerkähnen in die Nase. An dem Tiefgang konnte Rick erkennen, wie gut der Fang heute war. "Hola Ricky, wir haben heute ein Fass, das aus dem Hafen muss!" Der Satz war fast ein bisschen laut ausgerufen, dabei saß der junge Fischer gar nicht so weit von Corporal Rick entfernt. "Hola Enzo, geht heute nicht, habe Marktwachdienst. Du weißt, keine Geschäfte am Markt, claro!" erwiderte Rick. Enzo entgegnete, jetzt viel leiser: "Claro!", und Rick setzte den Weg fort.
Mannomann, war heute früh schon viel los! Ein paar Minuten unterhielt er sich noch mit einem der Vorarbeiter nahe der Werft. Er hielt direkt auf die zwei hintersten Lagerhäuser zu. An dem Punkt, an dem sich die Außenmauern trafen, hing ein altes Wagenrad mit einer fehlenden Speiche. Dahinter befand sich eine Tür mit einem Brett zugenagelt, das täuschend simulierte, diese Tür sei nicht zu öffnen. Erst wenn man das Rad an seiner Kette zur Seite schwang und weniger als eine Armlänge von der Tür entfernt war, sah man die feinen Fugen, die das Brett in mehrere Stücke trennten. Brett, wie Tür und Rad, glitten an ihren Scharnieren wie geölt. Der Besitzer dieses gar nicht so geheimen Ganges hinter der Tür schien sich gut um die Pflege des Einganges zu kümmern. “Wird ja auch täglich benutzt”, dachte Rick. Bei der Legion war es üblich, dass die handverlesenen Wachhabenden des Marktplatzes sich in die Bibliothek oder auf den Balkon selbiger setzen konnten. Und nun war er auf dem Weg dorthin und nahm wie immer diesen Gang, vorbei an einer kleinen Höhle aus ferner Vergangenheit, einem kleinen Kerkerloch, das nicht mehr benutzt wurde und vorbei an dem größten Weinkeller, den der Corporal je gesehen hatte. Am Ende des langen Ganges duftete es nach Backwerk aus Mohn und Mehl, denn er stand nunmehr am Aufgang neben der Mohnbäckerei der Casa Pan. Auch hier war mächtiges Treiben zu beobachten, die Schlange vor der Bäckerei war wieder einmal ziemlich lang.
Rick stapfte in die Bibliothek und freute sich zu sehen, dass der Hausherr zwar nicht da war, sehr wohl aber an ihn gedacht hatte, und so eine Käseglocke mit einer Notiz "Buen provecho, Corporal" auf einer Resteplatte auf dem Tisch stand. “Dieser Wachdienst beginnt doch perfekt! Nur nicht absolut perfekt…”, dachte sich Rick. Der schwere rote Tropfen mit dem Schlangensymbol darauf würde diese Platte mit Käse absolut perfekt machen... Dem Gedanken folgend begab sich Corporal Rick wieder in den Kellergang und stand plötzlich und völlig unerwartet vor einer verschlossenen Tür, also einer abgeschlossenen... Seit wann schloss Capitano Rastrojo den Weinkeller zu? Corporal Rick griff kurzerhand in seine Gürteltasche und zog ein kleines Messer sowie einen gekrümmten Nagel hervor. Mit einem lauten Klick machte sich jahrelange Übung bezahlt, und das Schloss fiel auf den Boden des Kellers. Nicht lange Suchen, nur Zugreifen, da stand ja schon eine Kiste mit dem Sangre de la Sierpa: "Den Sangre de la Sierpa kannst du jedem anbieten, der schmeckt nicht nur zu Käse, auch nach Bier kannst du ihn trinken!", erinnerte sich der Corporal an den Verkäuferspruch. Das stimmte tatsächlich, die Käseplatte und der Wein ließen den herrlich sonnigen Morgen nur so dahinfliegen. Und vom Balkon aus konnte man ziemlich gut beobachten, ohne selbst in der schweren, rot-schwarzen Uniform der Legion Extranjera zu sehr aufzufallen. Morgens ging es wirklich geschäftig auf dem Markt hin und her, die vielen Bediensteten der Häuser rings um den Markt kauften fleißig Dinge von nah und fern.
Am Nachmittag änderte sich vermeintlich die Anzahl der Personen auf dem Markt nicht, sie erscheint aber viel bunter, je später es wurde. Der Corporal machte einen Einkaufsrundgang zum Weinhändler, eine Straße weiter, und zur Olivenfrau, die mit ihren Stand so nah an einem der herrschaftlichen Häuser aufgebaut hatte, dass man meinen konnte, sie wolle gar keine Kunden an ihrem Stand vorbeigehen haben. Von dort stapfte er wieder zurück über den Platz, grüßte Bekannte mit einem Nicken, einer Verbeugung, dem typischen Handschlag Jarlow-Ciudads oder einem angedeuteten Augenzwinkern.
Zum Ende der Wache hatte Rick den Capitano immer noch nicht gesehen und mit ihm sprechen können, also ging er zurück durch den Gang und ließ an der Weinkellertür die kleine Flasche mit dem hellen Portwein stehen, die er beim Weinhändler erstanden hatte, und drapierte auf ihr das geöffnete Schloss. So konnte er dem Capitano auch ohne eine Notiz zu verstehen geben, wer das Schloss geöffnet hatte, denn schließlich kaufte er immer diesen selben Portwein, wenn er die Möglichkeit hatte, mit Rastrojo anzustoßen. Und so brauchte er nicht schreiben. Schreiben, das war für die feine Gesellschaft oder die "Bügelbretter" der Legion Naval. Es dämmerte schon der nächste Morgen, als Corporal Rick das Wagenrad wieder in Position schob und sich aufmachte zum Bericht der Hafenwache. “Hoffentlich bekomme ich nächste Woche schon eine neue Einteilung für den Markt”, dachte Rick.
Revision [2769]
Edited on 2021-01-31 16:52:35 by MarcelloCastellaniAdditions:
Er saß an einem kleinen Ofen mit einer Mahlzeit, bestehend aus grauem Mischbrot, zwei eingelegten gesalzenen Fischen und einem Becher Wein. Eigentlich hatte er sich angewöhnt, den Wein mit Wasser zu strecken, damit der Schlauch länger vorhielt, aber der Weinpreis in diesem Winter war so weit im Keller, dass er sich diesen Luxus gönnte.
Deletions:
Revision [2768]
Edited on 2021-01-31 16:44:33 by MarcelloCastellaniAdditions:
{{anchor target="2" text="1. Aus dem Leben einer Haushälterin"}}
{{anchor target="3" text="2. Aus dem Leben einer Haushälterin II"}}
{{anchor target="4" text="3. Aus dem Leben eines Kindermädchens"}}
{{anchor target="5" text="4. Aus dem Leben eines Werftarbeiters"}}
{{anchor target="6" text="5. Aus dem Leben eines Straßenjungen"}}
{{anchor target="7" text="6. Ein Abend unter Waisen - Aus den Memoiren eines Monseñore"}}
{{anchor target="8" text="7. Von Kanonenkugeln und Cremetörtchen"}}
{{anchor target="9" text="8. El Flautista de Jarlow-Ciudad"}}
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Deletions:
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Revision [2767]
Edited on 2021-01-31 16:42:31 by MarcelloCastellaniAdditions:
{{anchor target="9" text="El Flautista de Jarlow-Ciudad"}}
__Thiago Vincente__ - Bewohner des Armenviertels
====={{anchor name="9" h2=}}El Flautista de Jarlow-Ciudad=====
Zeit: Winter 221 ndGFdB
Wichtige Personen: **Thiago Vincente**
Wichtige Orte: Jarlow Ciudad, Casa Panificadora
In einem kleinen Holzschuppen, in den verwinkelten Gassen der Faso-Cuarto von Jarlow-Ciudad war eine ärmliche Öllaterne der einzige Zeuge einer Szenerie, vor welcher die Nachbarn schon lange die Augen und Ohren verschlossen hatten. Das Gejammer und Geheule verstummte irgendwann immer, irgendwann wurde es immer ruhig. Die Lampe spendete ihr flackerndes Licht für ein martialisches Handwerk, ausgeführt von einer leicht gebeugten Gestalt mit einer blitzenden Klinge in der Hand. Man konnte die alte, wettergegerbte Haut des Mannes erkennen, der geschickt und schnell arbeitete. Sein zauseliges graues Haar und der Bart verliehen ihm ein schmuddeliges, ja fast harmloses Aussehen. Er trug feste Arbeitskleidung, aus Leder, wasserabweisend und schnittfest.
Thiago Vincente wischte sich die Hände an einem alten Lumpen sauber und schmiss diesen dann auf seine Werkbank. Reste der roten Flüssigkeit sammelte sich in Pfützen auf den schweren Eichenbohlen der Werkbank und flossen in kleinen Rinnsalen zu einem Abfluss. Später würde Thiago noch mit einem Eimer Wasser die restlichen Spuren beseitigen, denn eins konnte er immer von sich behaupten: Er war sehr gründlich. Einmal in der Woche schrubbte er mit Seifenlauge, Sand und Bimsstein das verkrustete Blut von den Eichenbrettern und dem Boden, sodass er wieder neu zur Tat schreiten konnte.
Sein Tagesablauf hatte sich in den letzten Jahrzehnten nicht geändert und er hatte auch nicht vor, daran zu rütteln. Nach getaner Arbeit machte sich Thiago auf in sein kleines bescheidenes Haus, welches an den Holzschuppen grenzte. Ein einfaches Schloss verwehrte Fremden den Zutritt und er war sich sicher, dass dies reichte, denn es hatte bisher noch keiner gewagt näher als zehn Schritt an sein Haus zu kommen. Ein gewisser Ruf brachte eben seine Vorteile mit sich.
Er saß an einem kleinen Ofen mit einer Mahlzeit, bestehend aus grauem Mischbrot, zwei eingelegten gesalzenen Fischen und einem Becher Wein. Eigentlich hatte er sich angewöhnt, den Wein mit Wasser zu strecken, damit der Schlauch länger vorhielt, aber der Weinpreis ist diesem Winter war so weit im Keller, dass er sich diesen Luxus gönnte.
Die Wintermonate waren für ihn immer die arbeitsreichsten Monate; im Gegensatz zum Sommer, in welchem die Nächte sehr kurz und viele Leute auf den Straßen tagein, tagaus unterwegs waren und die Geschäfte sich eher ins Ausland verlagerten. Nun aber wurde es wieder früher dunkel, die Vorratskeller waren prall gefüllt und die geschäftigen Jarlower hatten - zumindest in den normalen Jahren - viel Geld verdient. Dann hatte seine Stunde geschlagen und er schritt zur Tat. Ganz am Anfang seiner Karriere hatte er noch alleine gearbeitet, aber mittlerweile ließ er für sich agieren und erntete nur noch die Früchte der Arbeit. Seinen Jungs und Mädchen, in deren gute Grundausbildung er viel Zeit und Mühe gesteckt hatte, gab er eingängige Spitznamen. Mit einem leichten Grinsen, das seine fauligen Zähne zeigte, dachte er an den Umstand, dass seine blutrünstigsten Mitarbeiter die Namen der Ahnen der Castellanis trugen.
Es grenzte schon fast ein bisschen an Ironie, dass sein Auftraggeber ihn morgen in Richtung des Marktplatzes beordert hatte, um dort zur Tat zu schreiten. Gerüchteweise hielt sich in dem großen Haus zurzeit nur eine Mutter mit ihrem kleinen Sohn auf. Mit einem schief gepfiffenen Lied auf den Lippen überlegte sich Thiago nur noch, wen aus seiner Meute er morgen mitnehmen würde, um dieser besonderen Aufgabe gerecht zu werden.
Am nächsten Morgen wälzte sich Thiago aus dem Bett. Es war noch stockdunkel in Jarlow-Ciudad, aber wenn man zu dieser Uhrzeit aufstand, konnte man trotzdem genug erkennen, denn Faso-Cuarto war durch ein nie enden wollendes Zwielicht erleuchtet. Der Leuchtturm spendete ein flackerndes Licht, welches sich schummrig in den Morgenstunden zeigte. So verließ er seine Hütte und wurde auch schon von Tyro und Carmelita erwartet. Zu dritt machten sie sich auf den Weg durch das Armenviertel Richtung Westen auf der Via del Faro Richtung Schuran und Gefängnisinsel. Das ungleiche Trio war so früh schon auf den Beinen, damit sie die geschlossene Zugbrücke benutzen konnten. Sobald das Tageslicht anbrach, war für eine Stunde die Brücke geöffnet, um den ersten Handelsschiffen die Passage zu ermöglichen.
Thiago wusste, dass er Richtung Marktplatz musste, aber er sich bis zum verabredeten Zeitpunkt noch die Beine in den Bauch stehen würde. Er wollte nicht unnötig auffallen, was bei seinen Begleitern etwas schwerfiel. Vielleicht holte er sich im Hafenviertel einen Caffa und ein Stück vom Fang des Tages. Seine beiden Begleiter hatten sicher auch Hunger, aber er wusste, mit leerem Magen waren sie besser.
Nachdem er die Häuserzeile und speziell sein Ziel am Herzogin Odalgar Marktplatz genauer begutachtet hatte, war er sich sicher, wie er vorgehen wollte. Er betrat die Casa durch den privaten Hauseingang, der neben einer Mohnbäckerei lag und bedeutete seinen beiden Begleitern unten im Hausflur zu warten. Die beiden ahnten, welch blutiges Geschäft gleich auf sie zukommen würde und hatten entsprechend Schwierigkeiten, ihre freudige Aufregung zu verbergen. Thiago nahm die letzten Stufen und klopfte an die Wohnung, von der er wusste, dass sie bewohnt war. Es öffnete eine ältere Señora die Tür. Hinter ihr in der Wohnung stand eine junge Dame mit schwarzem Kopftuch und einem Kleinkind auf dem Arm, welches den fremden Mann unverhohlen anstarrte. Mit einem kleinen Knicks, welchen er sich angewöhnt hatte, um den Leuten die erste Angst vor seiner Erscheinung zu nehmen, stellte er sich vor: “Señora, mein Name ist Thiago Vincente. Sie haben sicher nicht mit mir gerechnet, aber ich bin heute hier um tätig zu werden …”
……
Das Gekreische, das vom Keller hoch drang, ebbte nicht ab. Die Señora Castellani fasste sich doch ein Herz und wollte nachgucken. Sie ging das Treppenhaus herunter und entdeckte das Kindermädchen am Treppenabsatz, der zum Keller führte.
Señora Diamanta starrte mit eiserner Miene ins Dunkle hinab, alle Kraft aufwendend, ihre Angst und Abscheu zu vergeben. “Ich gehe dort nicht runter, keine zehn Pferde bringen mich dort runter, aber ich habe den kleinen Señor fest im Blick. Er hat seinen Spaß.”
Auf dem Absatz, an welchem die Kellertreppe in den Weinkeller der Casa Pan führte, saß der kleine Señor Castellani und hatte einen Hund auf dem Schoß, und lachte und quietsche vor Vergnügen. Genauer gesagt war es die Hündin Carmelita, welche sich im Schoß des Jungen wälzte und sich ausgiebig streicheln ließ.
Der kleine Terrier-ähnliche Hund hatte am ganzen Körper kurzes weißes Fell, aber schwarze und braune Markierungen am Kopf. Der muskulöse Hund zuckte und jauchzte vor Vergnügen und sabberte ausgiebig auf die Hose des kleinen Señors.
In dem Moment erschien auch der Rattenjäger Vincente in dem Blickfeld der Frau Castellani, in einer Hand einen tropfenden Leinensack haltend, verfolgt von einem etwas größeren Hund mit hochgezogenen Lefzen und blutverschmierter Schnauze. “Ahhh Señora Castellani, schön, dass ich Euch noch erwische. Tyro hat ganze Arbeit geleistet, bestimmt ein Dutzend fette Ratten hat er erlegt. Eigentlich entwischt ihm keine einzige, aber falls doch eines der Biester gerade nicht hier war, vertreibt sein Geruch die restlichen, das ist eine Besonderheit dieser Rasse, der Ratonero Bodeguero. Sie lieben es einfach Ratten aufzuscheuchen und kommen auch hinter die Weinregale und Fässer. Es ist eine Freude ihnen zuzugucken, wie sie mit einem schnellen Biss ins Genick, die in die Enge getriebenen Ratten töten und mir dann vor die Füße legen.” Man sah Thiago an, dass er noch stundenlang von seinen geliebten Hunden reden konnte, aber ihm fiel auf, dass dies hier nicht das richtige Publikum war.
“Ich wäre dann hier fertig, den Betrag werde ich dann Señor Capitan Rastrojo in Rechnung stellen, der mich beauftragt hat, den Weinkeller von Ratten zu befreien. Macht Euch keine Sorge, dass ich Carmelita mitgenommen habe, das stelle ich natürlich nicht in Rechnung. Ich habe nur gehört, dass hier ein kleines Kind ist und sie liebt kleine Kinder.” Mit einem fast zahnlosen Grinsen schielte er zu dem scheinbar untrennbaren Hunde-Kind-Knäuel auf dem Boden. „Ihr müsstet aber aufpassen, die Hintertür zum Weinkeller war nicht richtig verschlossen, das Vorhängeschloss hing zwar an der richtigen Stelle, aber war nicht zu. Und daneben lagen Glasscherben einer Flasche. Das sollte sich mal wer angucken, vielleicht wenn die Herren des Hauses wieder da sind. Ach und eine Sache noch, wollen sie die Ratten behalten oder soll ich...?” fragte er und schüttelte dabei den Leinensack, aus dem ein dumpfes, ekelerregendes Geräusch erklang. Mit einem leichtem, erschauerten Kopfschütteln entließen die Damen den Rattenfänger. Mit einem Pfiff rief er seine beiden Hunde neben sich, welche mit der Rute wedelnd angestobt kamen. Thiago empfahl sich, schritt die Kellertreppen hinaus ins Freie und schlängelte sich zwischen den Fußgängern in Richtung Fluss. Immer wieder wurden seine Hunde erkannt und gestreichelt von den Straßenkindern. Deswegen liebte er es eigentlich in aller Früh zu arbeiten, damit er schneller durch die Straßen voran kam. Aber jetzt war es ihm egal, er hatte sein Tagewerk vollendet, ein saftiges Trinkgeld kassiert und durfte sogar die Ratten behalten; das war keine Selbstverständlichkeit.
Als er sich durch die Gassen der Favelas zwängte, konnte er schon seine Hütte erblicken. Am Zaun, der sein kleines Grundstück umfasste, sah er bereits seine Meute stehen. Acht weitere Hunde erwarteten ihn voller Freude, sie bellten und jauchzten. Er kniete sich zu ihnen herab und ließ sich von seinen Hunden ablecken und überfallen. Hier in diesem Moment war er der glücklichste Mann der Welt. Seine Nachbarn hatten sich schon lange an sein kleines Rudel gewöhnt. Die Hunde waren sehr glücklich über gelegentliche Streicheleinheiten und hielten durch ihr Gebell Fremde fern. Auch war die Umgebung frei von Ratten, denn was wäre Thiago für Rattenfänger, wenn vor seiner Haustüre die Nager ein Tänzchen wagen würden?
Jetzt in den Abendstunden ging er noch in seinen Schuppen und würde die restlichen Ratten zerkleinern und verfüttern. Das Gejammer und Gebettel seiner Hunde, während er die Fleischstücken portionierte, brachte Thiago zum Strahlen. Er zog sich seine Schürze an und begann die Beute unter allen seinen Tieren gerecht zu verteilen, nur für Tyro und Carmelita gab es ein extra Stück, da sie heute gearbeitet hatten. Nachdem er die Werkbank wieder aufgeräumt und abgespült hatte, schloss er den Schuppen und machte sich auf zu seiner Hütte. Mit einer Verabschiedung auf den Lippen, ließ er sein Rudel nun draußen alleine. Mit dem Abendmahl am Ofen sitzend, dachte er darüber nach, wo es morgen wohl hingehen würde. Vielleicht ein Handelsschiff, welches gesäubert werden musste oder ein Kornspeicher, der befallen war. Es war ihm einerlei; gerade im Winter, wenn die Ratten sich vor der Kälte in die prall gefüllten Vorratsspeicher flüchteten, konnte er sich die lukrativsten Aufträge aussuchen. Denn mit seinen Hunden war er der beste Rattenfänger von Jarlow-Ciudad.
__Thiago Vincente__ - Bewohner des Armenviertels
====={{anchor name="9" h2=}}El Flautista de Jarlow-Ciudad=====
Zeit: Winter 221 ndGFdB
Wichtige Personen: **Thiago Vincente**
Wichtige Orte: Jarlow Ciudad, Casa Panificadora
In einem kleinen Holzschuppen, in den verwinkelten Gassen der Faso-Cuarto von Jarlow-Ciudad war eine ärmliche Öllaterne der einzige Zeuge einer Szenerie, vor welcher die Nachbarn schon lange die Augen und Ohren verschlossen hatten. Das Gejammer und Geheule verstummte irgendwann immer, irgendwann wurde es immer ruhig. Die Lampe spendete ihr flackerndes Licht für ein martialisches Handwerk, ausgeführt von einer leicht gebeugten Gestalt mit einer blitzenden Klinge in der Hand. Man konnte die alte, wettergegerbte Haut des Mannes erkennen, der geschickt und schnell arbeitete. Sein zauseliges graues Haar und der Bart verliehen ihm ein schmuddeliges, ja fast harmloses Aussehen. Er trug feste Arbeitskleidung, aus Leder, wasserabweisend und schnittfest.
Thiago Vincente wischte sich die Hände an einem alten Lumpen sauber und schmiss diesen dann auf seine Werkbank. Reste der roten Flüssigkeit sammelte sich in Pfützen auf den schweren Eichenbohlen der Werkbank und flossen in kleinen Rinnsalen zu einem Abfluss. Später würde Thiago noch mit einem Eimer Wasser die restlichen Spuren beseitigen, denn eins konnte er immer von sich behaupten: Er war sehr gründlich. Einmal in der Woche schrubbte er mit Seifenlauge, Sand und Bimsstein das verkrustete Blut von den Eichenbrettern und dem Boden, sodass er wieder neu zur Tat schreiten konnte.
Sein Tagesablauf hatte sich in den letzten Jahrzehnten nicht geändert und er hatte auch nicht vor, daran zu rütteln. Nach getaner Arbeit machte sich Thiago auf in sein kleines bescheidenes Haus, welches an den Holzschuppen grenzte. Ein einfaches Schloss verwehrte Fremden den Zutritt und er war sich sicher, dass dies reichte, denn es hatte bisher noch keiner gewagt näher als zehn Schritt an sein Haus zu kommen. Ein gewisser Ruf brachte eben seine Vorteile mit sich.
Er saß an einem kleinen Ofen mit einer Mahlzeit, bestehend aus grauem Mischbrot, zwei eingelegten gesalzenen Fischen und einem Becher Wein. Eigentlich hatte er sich angewöhnt, den Wein mit Wasser zu strecken, damit der Schlauch länger vorhielt, aber der Weinpreis ist diesem Winter war so weit im Keller, dass er sich diesen Luxus gönnte.
Die Wintermonate waren für ihn immer die arbeitsreichsten Monate; im Gegensatz zum Sommer, in welchem die Nächte sehr kurz und viele Leute auf den Straßen tagein, tagaus unterwegs waren und die Geschäfte sich eher ins Ausland verlagerten. Nun aber wurde es wieder früher dunkel, die Vorratskeller waren prall gefüllt und die geschäftigen Jarlower hatten - zumindest in den normalen Jahren - viel Geld verdient. Dann hatte seine Stunde geschlagen und er schritt zur Tat. Ganz am Anfang seiner Karriere hatte er noch alleine gearbeitet, aber mittlerweile ließ er für sich agieren und erntete nur noch die Früchte der Arbeit. Seinen Jungs und Mädchen, in deren gute Grundausbildung er viel Zeit und Mühe gesteckt hatte, gab er eingängige Spitznamen. Mit einem leichten Grinsen, das seine fauligen Zähne zeigte, dachte er an den Umstand, dass seine blutrünstigsten Mitarbeiter die Namen der Ahnen der Castellanis trugen.
Es grenzte schon fast ein bisschen an Ironie, dass sein Auftraggeber ihn morgen in Richtung des Marktplatzes beordert hatte, um dort zur Tat zu schreiten. Gerüchteweise hielt sich in dem großen Haus zurzeit nur eine Mutter mit ihrem kleinen Sohn auf. Mit einem schief gepfiffenen Lied auf den Lippen überlegte sich Thiago nur noch, wen aus seiner Meute er morgen mitnehmen würde, um dieser besonderen Aufgabe gerecht zu werden.
Am nächsten Morgen wälzte sich Thiago aus dem Bett. Es war noch stockdunkel in Jarlow-Ciudad, aber wenn man zu dieser Uhrzeit aufstand, konnte man trotzdem genug erkennen, denn Faso-Cuarto war durch ein nie enden wollendes Zwielicht erleuchtet. Der Leuchtturm spendete ein flackerndes Licht, welches sich schummrig in den Morgenstunden zeigte. So verließ er seine Hütte und wurde auch schon von Tyro und Carmelita erwartet. Zu dritt machten sie sich auf den Weg durch das Armenviertel Richtung Westen auf der Via del Faro Richtung Schuran und Gefängnisinsel. Das ungleiche Trio war so früh schon auf den Beinen, damit sie die geschlossene Zugbrücke benutzen konnten. Sobald das Tageslicht anbrach, war für eine Stunde die Brücke geöffnet, um den ersten Handelsschiffen die Passage zu ermöglichen.
Thiago wusste, dass er Richtung Marktplatz musste, aber er sich bis zum verabredeten Zeitpunkt noch die Beine in den Bauch stehen würde. Er wollte nicht unnötig auffallen, was bei seinen Begleitern etwas schwerfiel. Vielleicht holte er sich im Hafenviertel einen Caffa und ein Stück vom Fang des Tages. Seine beiden Begleiter hatten sicher auch Hunger, aber er wusste, mit leerem Magen waren sie besser.
Nachdem er die Häuserzeile und speziell sein Ziel am Herzogin Odalgar Marktplatz genauer begutachtet hatte, war er sich sicher, wie er vorgehen wollte. Er betrat die Casa durch den privaten Hauseingang, der neben einer Mohnbäckerei lag und bedeutete seinen beiden Begleitern unten im Hausflur zu warten. Die beiden ahnten, welch blutiges Geschäft gleich auf sie zukommen würde und hatten entsprechend Schwierigkeiten, ihre freudige Aufregung zu verbergen. Thiago nahm die letzten Stufen und klopfte an die Wohnung, von der er wusste, dass sie bewohnt war. Es öffnete eine ältere Señora die Tür. Hinter ihr in der Wohnung stand eine junge Dame mit schwarzem Kopftuch und einem Kleinkind auf dem Arm, welches den fremden Mann unverhohlen anstarrte. Mit einem kleinen Knicks, welchen er sich angewöhnt hatte, um den Leuten die erste Angst vor seiner Erscheinung zu nehmen, stellte er sich vor: “Señora, mein Name ist Thiago Vincente. Sie haben sicher nicht mit mir gerechnet, aber ich bin heute hier um tätig zu werden …”
……
Das Gekreische, das vom Keller hoch drang, ebbte nicht ab. Die Señora Castellani fasste sich doch ein Herz und wollte nachgucken. Sie ging das Treppenhaus herunter und entdeckte das Kindermädchen am Treppenabsatz, der zum Keller führte.
Señora Diamanta starrte mit eiserner Miene ins Dunkle hinab, alle Kraft aufwendend, ihre Angst und Abscheu zu vergeben. “Ich gehe dort nicht runter, keine zehn Pferde bringen mich dort runter, aber ich habe den kleinen Señor fest im Blick. Er hat seinen Spaß.”
Auf dem Absatz, an welchem die Kellertreppe in den Weinkeller der Casa Pan führte, saß der kleine Señor Castellani und hatte einen Hund auf dem Schoß, und lachte und quietsche vor Vergnügen. Genauer gesagt war es die Hündin Carmelita, welche sich im Schoß des Jungen wälzte und sich ausgiebig streicheln ließ.
Der kleine Terrier-ähnliche Hund hatte am ganzen Körper kurzes weißes Fell, aber schwarze und braune Markierungen am Kopf. Der muskulöse Hund zuckte und jauchzte vor Vergnügen und sabberte ausgiebig auf die Hose des kleinen Señors.
In dem Moment erschien auch der Rattenjäger Vincente in dem Blickfeld der Frau Castellani, in einer Hand einen tropfenden Leinensack haltend, verfolgt von einem etwas größeren Hund mit hochgezogenen Lefzen und blutverschmierter Schnauze. “Ahhh Señora Castellani, schön, dass ich Euch noch erwische. Tyro hat ganze Arbeit geleistet, bestimmt ein Dutzend fette Ratten hat er erlegt. Eigentlich entwischt ihm keine einzige, aber falls doch eines der Biester gerade nicht hier war, vertreibt sein Geruch die restlichen, das ist eine Besonderheit dieser Rasse, der Ratonero Bodeguero. Sie lieben es einfach Ratten aufzuscheuchen und kommen auch hinter die Weinregale und Fässer. Es ist eine Freude ihnen zuzugucken, wie sie mit einem schnellen Biss ins Genick, die in die Enge getriebenen Ratten töten und mir dann vor die Füße legen.” Man sah Thiago an, dass er noch stundenlang von seinen geliebten Hunden reden konnte, aber ihm fiel auf, dass dies hier nicht das richtige Publikum war.
“Ich wäre dann hier fertig, den Betrag werde ich dann Señor Capitan Rastrojo in Rechnung stellen, der mich beauftragt hat, den Weinkeller von Ratten zu befreien. Macht Euch keine Sorge, dass ich Carmelita mitgenommen habe, das stelle ich natürlich nicht in Rechnung. Ich habe nur gehört, dass hier ein kleines Kind ist und sie liebt kleine Kinder.” Mit einem fast zahnlosen Grinsen schielte er zu dem scheinbar untrennbaren Hunde-Kind-Knäuel auf dem Boden. „Ihr müsstet aber aufpassen, die Hintertür zum Weinkeller war nicht richtig verschlossen, das Vorhängeschloss hing zwar an der richtigen Stelle, aber war nicht zu. Und daneben lagen Glasscherben einer Flasche. Das sollte sich mal wer angucken, vielleicht wenn die Herren des Hauses wieder da sind. Ach und eine Sache noch, wollen sie die Ratten behalten oder soll ich...?” fragte er und schüttelte dabei den Leinensack, aus dem ein dumpfes, ekelerregendes Geräusch erklang. Mit einem leichtem, erschauerten Kopfschütteln entließen die Damen den Rattenfänger. Mit einem Pfiff rief er seine beiden Hunde neben sich, welche mit der Rute wedelnd angestobt kamen. Thiago empfahl sich, schritt die Kellertreppen hinaus ins Freie und schlängelte sich zwischen den Fußgängern in Richtung Fluss. Immer wieder wurden seine Hunde erkannt und gestreichelt von den Straßenkindern. Deswegen liebte er es eigentlich in aller Früh zu arbeiten, damit er schneller durch die Straßen voran kam. Aber jetzt war es ihm egal, er hatte sein Tagewerk vollendet, ein saftiges Trinkgeld kassiert und durfte sogar die Ratten behalten; das war keine Selbstverständlichkeit.
Als er sich durch die Gassen der Favelas zwängte, konnte er schon seine Hütte erblicken. Am Zaun, der sein kleines Grundstück umfasste, sah er bereits seine Meute stehen. Acht weitere Hunde erwarteten ihn voller Freude, sie bellten und jauchzten. Er kniete sich zu ihnen herab und ließ sich von seinen Hunden ablecken und überfallen. Hier in diesem Moment war er der glücklichste Mann der Welt. Seine Nachbarn hatten sich schon lange an sein kleines Rudel gewöhnt. Die Hunde waren sehr glücklich über gelegentliche Streicheleinheiten und hielten durch ihr Gebell Fremde fern. Auch war die Umgebung frei von Ratten, denn was wäre Thiago für Rattenfänger, wenn vor seiner Haustüre die Nager ein Tänzchen wagen würden?
Jetzt in den Abendstunden ging er noch in seinen Schuppen und würde die restlichen Ratten zerkleinern und verfüttern. Das Gejammer und Gebettel seiner Hunde, während er die Fleischstücken portionierte, brachte Thiago zum Strahlen. Er zog sich seine Schürze an und begann die Beute unter allen seinen Tieren gerecht zu verteilen, nur für Tyro und Carmelita gab es ein extra Stück, da sie heute gearbeitet hatten. Nachdem er die Werkbank wieder aufgeräumt und abgespült hatte, schloss er den Schuppen und machte sich auf zu seiner Hütte. Mit einer Verabschiedung auf den Lippen, ließ er sein Rudel nun draußen alleine. Mit dem Abendmahl am Ofen sitzend, dachte er darüber nach, wo es morgen wohl hingehen würde. Vielleicht ein Handelsschiff, welches gesäubert werden musste oder ein Kornspeicher, der befallen war. Es war ihm einerlei; gerade im Winter, wenn die Ratten sich vor der Kälte in die prall gefüllten Vorratsspeicher flüchteten, konnte er sich die lukrativsten Aufträge aussuchen. Denn mit seinen Hunden war er der beste Rattenfänger von Jarlow-Ciudad.
Revision [2749]
Edited on 2020-04-05 15:05:57 by MarcelloCastellaniAdditions:
Wichtige Personen: Mariella Dimanta; [[MarxCastellani Castellani]]; Lucia, die Bäckersfrau
Sie wusste von der Amme, dass der große Kerl in den ersten Tagen nach der Geburt seines Sohnes kaum von der Seite seiner Frau gewichen war. Sie selbst hätte derartiges Verhalten bei ihrem Mann niemals gebilligt, denn schließlich gab es Angelegenheiten, die strikt Frauensache waren. Aber Marcelo Castellani, wie er häufig in dem Wohnhaus über der Mohnbäckerei genannt wurde, schien sich mit einer Aufrichtigkeit um seine Frau und das Kind zu bemühen, die erahnen ließ, dass er sie wirklich aus Liebe geheiratet hatte, und nicht nur, wie man sich unter der Hand zuraunte, um den Rängen der Heereswacht zu entkommen. Trotzdem, so wusste die Amme ihr bei einem Plausch zu berichten, als sie mit den Kindern einen Spaziergang machten, war es gut, dass die junge Dame Castellani so schnell zu Kräften gekommen war. Denn sie selbst war deutlich resoluter und kompromissloser, wenn es darum ging, unliebsamen Anstandsbesuch aus der frisch eingerichteten Wohnung hinaus zu komplementierten. Nur ihr sei es zu verdanken gewesen, dass die junge Familie endlich eine Routine fernab der Besucherströme der Großfamilie beginnen konnte. Und so nahm Señora Dimanta es mit noch mehr Wohlwollen wahr, dass der ehemalige Wächter sich endlich einmal von seiner Familie verabschiedet hatte und scheinbar anderen Dingen nachging. Schließlich billigte sie Müßiggang ohnehin nicht, und es war nur gut, wenn der junge Mann endlich mehr über Geschäfte im Allgemeinen und die Geschäfte der Familie im Besonderen, lernte. Ihrer Meinung nach war diese Art der Fürsorge für eine Familie für einen Mann deutlich angebrachter, als unbeholfen im Weg rumzustehen, wenn das Kind vor Hunger schrie oder der frischgebackenen Mutter ein Glas Wasser zu reichen.
Sie wusste von der Amme, dass der große Kerl in den ersten Tagen nach der Geburt seines Sohnes kaum von der Seite seiner Frau gewichen war. Sie selbst hätte derartiges Verhalten bei ihrem Mann niemals gebilligt, denn schließlich gab es Angelegenheiten, die strikt Frauensache waren. Aber Marcelo Castellani, wie er häufig in dem Wohnhaus über der Mohnbäckerei genannt wurde, schien sich mit einer Aufrichtigkeit um seine Frau und das Kind zu bemühen, die erahnen ließ, dass er sie wirklich aus Liebe geheiratet hatte, und nicht nur, wie man sich unter der Hand zuraunte, um den Rängen der Heereswacht zu entkommen. Trotzdem, so wusste die Amme ihr bei einem Plausch zu berichten, als sie mit den Kindern einen Spaziergang machten, war es gut, dass die junge Dame Castellani so schnell zu Kräften gekommen war. Denn sie selbst war deutlich resoluter und kompromissloser, wenn es darum ging, unliebsamen Anstandsbesuch aus der frisch eingerichteten Wohnung hinaus zu komplementierten. Nur ihr sei es zu verdanken gewesen, dass die junge Familie endlich eine Routine fernab der Besucherströme der Großfamilie beginnen konnte. Und so nahm Señora Dimanta es mit noch mehr Wohlwollen wahr, dass der ehemalige Wächter sich endlich einmal von seiner Familie verabschiedet hatte und scheinbar anderen Dingen nachging. Schließlich billigte sie Müßiggang ohnehin nicht, und es war nur gut, wenn der junge Mann endlich mehr über Geschäfte im Allgemeinen und die Geschäfte der Familie im Besonderen, lernte. Ihrer Meinung nach war diese Art der Fürsorge für eine Familie für einen Mann deutlich angebrachter, als unbeholfen im Weg rumzustehen, wenn das Kind vor Hunger schrie oder der frischgebackenen Mutter ein Glas Wasser zu reichen.
Deletions:
Sie wusste von der Amme, dass der große Kerl in den ersten Tagen nach der Geburt seines Sohnes kaum von der Seite seiner Frau gewichen war. Sie selbst hätte derartiges Verhalten bei ihrem Mann niemals gebilligt, denn schließlich gab es Angelegenheiten, die strikt Frauensache waren. Aber Marcello Castellani, wie er häufig in dem Wohnhaus über der Mohnbäckerei genannt wurde, schien sich mit einer Aufrichtigkeit um seine Frau und das Kind zu bemühen, die erahnen ließ, dass er sie wirklich aus Liebe geheiratet hatte, und nicht nur, wie man sich unter der Hand zuraunte, um den Rängen der Heereswacht zu entkommen. Trotzdem, so wusste die Amme ihr bei einem Plausch zu berichten, als sie mit den Kindern einen Spaziergang machten, war es gut, dass die junge Dame Castellani so schnell zu Kräften gekommen war. Denn sie selbst war deutlich resoluter und kompromissloser, wenn es darum ging, unliebsamen Anstandsbesuch aus der frisch eingerichteten Wohnung hinaus zu komplementierten. Nur ihr sei es zu verdanken gewesen, dass die junge Familie endlich eine Routine fernab der Besucherströme der Großfamilie beginnen konnte. Und so nahm Señora Dimanta es mit noch mehr Wohlwollen wahr, dass der ehemalige Wächter sich endlich einmal von seiner Familie verabschiedet hatte und scheinbar anderen Dingen nachging. Schließlich billigte sie Müßiggang ohnehin nicht, und es war nur gut, wenn der junge Mann endlich mehr über Geschäfte im Allgemeinen und die Geschäfte der Familie im Besonderen, lernte. Ihrer Meinung nach war diese Art der Fürsorge für eine Familie für einen Mann deutlich angebrachter, als unbeholfen im Weg rumzustehen, wenn das Kind vor Hunger schrie oder der frischgebackenen Mutter ein Glas Wasser zu reichen.
Revision [2748]
Edited on 2020-04-05 13:47:00 by MarcelloCastellaniAdditions:
Auch an diesem Freitagmorgen, noch kurz vor den ersten Sonnenstrahlen, ist Silvio schon wieder dabei, Balas de Cañón zu rollen. In den sehr frühen Morgenstunden, zu der Zeit, wo sich selbst die Ratten und die streunenden Katzen in Jarlow Stadt mal für einen Moment eine Verschnaufpause zu gönnen scheinen, sieht Silvio häufig den Señor Castellani heimkehren, der mit seiner kleinen Familie in einer der Wohnungen über seiner Backstube wohnt. Dieser versäumt dann nie, noch eine Tüte Balas de Cañón für seine Frau mitzubringen, und wenn sie noch nicht fertig sind, dann wartet er eben solange. Dass das Geschäft dann eigentlich noch nicht geöffnet ist, tut in diesem Fall natürlich nichts zur Sache. Er ist nicht sehr gesprächig, der Señor Castellani, aber äußerst höflich. Und Silvio ist es gewohnt, keine Fragen zu stellen. Er weiß, dass dieser Kunde eher nicht zu der Sorte gehört, mit dem man belanglose Informationen über die Nachbarn austauscht, so wie das seine liebe Gattin Lucía so gerne tut, wenn sie die Kundschaft bedient. Aber das ist Silvio auch eigentlich ganz recht so.
Deletions:
Revision [2747]
Edited on 2020-04-05 13:18:23 by MarcelloCastellaniAdditions:
Wichtige Personen: **Abril**
Wichtige Personen: **Silvio Harinero** - Bäckermeister der Mohnbäckerei, Mann von Lucía, **Sofía** - ehemalige Orphanita der Leonora Castellani, nun Hausmädchen in der Casa Panificadora
Wichtige Personen: **Silvio Harinero** - Bäckermeister der Mohnbäckerei, Mann von Lucía, **Sofía** - ehemalige Orphanita der Leonora Castellani, nun Hausmädchen in der Casa Panificadora
Deletions:
Wichtige Personen: Silvio Harinero - Bäckermeister der Mohnbäckerei, Mann von Lucía
Sofía - ehemalige Orphanita der Leonora Castellani, nun Hausmädchen in der Casa Panificadora
Revision [2746]
Edited on 2020-04-05 13:17:05 by MarcelloCastellaniAdditions:
{{anchor target="8" text="Von Kanonenkugeln und Cremetörtchen"}}
Deletions:
Revision [2745]
Edited on 2020-04-05 13:16:42 by MarcelloCastellaniAdditions:
{{anchor target="8" text=Von Kanonenkugeln und Cremetörtchen"}}