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======La visita de la vieja dama======
====Ein Schauspiel in zwei Aufzügen====
Dabei treten auf: eine Zuckerrohrbäuerin, eine Obsthändlerin, ein Bürgermeister, eine [[http://de.wikipedia.org/wiki/Der_Besuch_der_alten_Dame alte Dame]] nebst ihrem Diener, ein Krämer, ein Gendarm und ein Pfaffe
=====Erster Aufzug=====
(Auf dem Dorfplatz sind in freudiger Erwartung der Ankunft der Emanuela Castellani alle Bewohner versammelt. Sie haben die Hoffnung, dass die alte, sehr wohlhabende Dame ihr heruntergekommenes Dorf mit einer großzügigen Spende bedenken möge.)
ZUCKERROHRBÄUERIN: Sie hat einmal hier gewohnt, vor vielen Jahren.
OBSTHÄNDLERIN: Hat ja keiner ahnen können, wer sie ist.
ZUCKERROHRBÄUERIN: Wer weiß, ob einer damals den Namen gekannt hätte.
OBSTHÄNDLERIN: Dann ist sie weggegangen.
OBSTHÄNDLERIN: Hätte ich auch tun sollen.
BÜRGERMEISTER: Da kommt sie! Los, der Chor!
(Der Bürgermeister dirigiert einen Chor aus den Anwesenden, der ein Willkommensständchen singt, dazu treten Emanuela und ihr Diener auf.)
BÜRGERMEISTER: Doña Emanuela! Als Bürgermeister dieses Fleckens habe ich, Ricardo Lora del Rio, die Ehre euch, verehrte Señora, die einmal hier…
(Der Diener lässt geräuschvoll das Gepäck fallen)
EMANUELA: Vielen Dank für die schöne Rede, Herr Bürgermeister. (Sie geht auf den Krämer zu.)
KRÄMER: Emanuela!
EMANUELA: Du!
KRÄMER: Schön, dass Du gekommen bist.
EMANUELA: Das habe ich mir immer vorgenommen. Mein Leben lang, seit ich diesen Flecken verlassen habe.
KRÄMER: (unsicher) Das ist lieb von dir.
EMANUELA: Auch du hast an mich gedacht?
KRÄMER: Natürlich. Immer. Das weißt du doch, Emanuela
EMANUELA: Es war wunderbar, all die Tage, die wir zusammen waren.
KRÄMER: Eben! (Zum Bürgermeister) Schau doch, ich habe sie im Sack!
EMANUELA: Nenn mich, wie du mich immer genannt hast.
KRÄMER: Mein Zuckerhexchen!
EMANUELA: Und ich nannte dich: mein Säbelzahntiger.
KRÄMER: Der bin ich noch.
EMANUELA: Unsinn, Du bist fett geworden und versoffen. Ähnelst eher einem Waldschrat.
(Es stellen sich nun die weiteren Würdenträger vor, zunächst der Gendarm, dann der Pfaffe)
GENDARM: (tritt vor) Gendarm Esteban, Señora. Stehe zur Verfügung.
EMANUELA: (mustert ihn) Danke. Ich will niemanden verhaften. Aber vielleicht wird das Pueblo dich bald nötig haben. Drückst du hin und wieder ein Auge zu?
GENDARM: Das schon, Señora. Wo käme ich hier denn sonst hin?
EMANUELA: Schließ lieber beide.
KRÄMER: Ganz die Emanuela, wie ich sie liebte.
EMANUELA: Ei, ein Pfaffe. Ich nehme an, du pflegst zu beten.
PFAFFE: (tritt vor) Jawohl, zum heiligen Licht. Bruder Miguel, zu Diensten.
EMANUELA: Und pflegt dein heiliges Licht, Flüche zu brechen?
PFAFFE: (verwirrt) Flüche kommen hier nicht so häufig vor, Señora.
EMANUELA: Vielleicht ja in Zukunft öfter. (Zum Krämer) Aber jetzt will ich mit dir in den Wald gehen. Zu dem kleinen Weiher.
(Emanuela und Krämer gehen ab, Bürgermeister, Gendarm und Pfaffe treten zurück, markieren Wald)
+ + +
BÜRGERMEISTER: Wir sind dunkelgrün Mangroven.
GENDARM: Moos und Flechten, Efeudickicht.
PFAFFE: Wolkenzüge, Vogelrufe.
BÜRGERMEISTER: Echte, dunkle Wurzelwildnis.
GENDARM: Fliegenpilze, scheue Rehe.
PFAFFE: Zweiggeflüster, alte Träume.
EMANUELA: (tritt mit dem Krämer auf) Dies ist der Wald, dort der Weiher. Hier wollen wir sprechen.
(Der Diener tritt auf, bringt eine Bank, auf der Emanuela platz nimmt. Der Diener bleibt dahinter stehen.)
EMANUELA: Schau, ein Reh!
GENDARM: (springt davon)
KRÄMER: Schonzeit. (setzt sich zu ihr)
EMANUELA: Auf dieser Lichtung küssten wir uns. Vor mehr als fünfundvierzig Jahren. Wir liebten uns bei jenem Weiher, zwischen Fliegenpilzen im Moos. Ich war siebzehn, du noch nicht zwanzig. Dann hast du eine andere geheiratet, mit ihrem Krämerladen. Damals hast du nicht gewusst, wer ich bin. Fast hätte ich es selbst vergessen, als ich von hier weg ging. Bin dann an Wegen und in Städten meinem Gewerbe nachgegangen.
KRÄMER: Emanuela!
EMANUELA: Eine Cigarra. (Der Diener reicht ihr eine, zündet sie an.)
KRÄMER: Ich habe dir immer eine gute Zukunft gewünscht.
EMANUELA: Nun ist die Zukunft gekommen.
KRÄMER: Ich war mein Leben lang Krämer in einem verkrachten Städtchen. Und seit zwanzig Jahren geht das Geschäft schlecht und schlechter.
EMANUELA: Nun habe ich Geld. Seit ich mich mit meinem Vater aussöhnte auch ein gewisses Ansehen.
(Sie schauen in den Wald, er schweigt, sie raucht. Die Bäume rascheln mit den Blättern.)
KRÄMER: Nun wird sich alles ändern.
EMANUELA: Gewiss.
KRÄMER: Du wirst uns helfen?
EMANUELA: Ich lasse dieses Städtchen nicht im Stich.
KRÄMER: Wir haben viele Goldstücke nötig.
EMANUELA: Das geringste.
KRÄMER: (begeistert) Zuckerhexchen!
EMANUELA: Nun schafft mich einmal in das Pueblo zurück, dann will ich meine Wohltat verkünden.
(Diener und Krämer nehmen die Bank als eine Sänfte, tragen Emanuela darauf zurück ins Dorf, dort sind wieder alle versammelt.)
+ + +
BÜRGERMEISTER: Der Beifallssturm gilt euch, Doña Emanuela.
EMANUELA: Bürgermeister, bevor du eine große Rede machst, will ich gleich sagen, weshalb ich hergekommen bin. Und ihr Anderer hört auch gut zu. Vor vielen Jahrzehnten habe ich in diesem Dorf gewohnt. Damals hat keiner meinen Namen gekannt. Aber ich erinnere mich noch gut an diese Zeit. Und im Andenken daran will ich dem Pueblo Eintausend Goldstücke schenken, fünfhundert dem Ort und fünfhundert verteilt auf alle Familien.
(Totenstille)
BÜRGERMEISTER: (stottert) Eintausend.
EMANUELA: Unter einer Bedingung.
(Alle brechen in Jubel aus)
KRÄMER: Emanuela! Goldig. Wunderbar! Voll und ganz mein Zuckerhexchen. (Er küsst sie.)
BÜRGERMEISTER: Unter einer Bedingung, haben la Doña gesagt. Darf ich diese Bedingung wissen?
EMANUELA: Ich will euch die Bedingung nennen. Ich gebe euch Eintausend Goldstücke und kaufe mir dafür die Gerechtigkeit.
(Totenstille)
BÜRGERMEISTER: Wie ist das zu verstehen, Doña?
EMANUELA: Wie ich es sagte.
BÜRGERMEISTER: Aber Gerechtigkeit kann man doch nicht kaufen!
EMANUELA: Man kann alles kaufen. Meine Familie kann alles kaufen.
BÜRGERMEISTER: Ich verstehe noch immer nicht.
EMANUELA: Diener, tritt vor!
DIENER: Ich weiß nicht, ob noch einer von euch mich erkennt.
OBSTHÄNDLERIN: Der Richter Alvarez!
DIENER: Jawohl, ich war der Richter Alvarez hier vor vielen Jahren und später noch Notar in Jarlow-Stadt, bis vor zwanzig Jahren Señora Emanuela Castellani mir das Angebot machte, als Diener in ihre Dienste zu treten. Es mag ungewöhnlich erscheinen, aber sie bot ein so phantastisches Salär.
EMANUELA: Komm zu Sache.
DIENER: Jawohl. Wie ihr vernommen habt, bietet Señora Castellani Eintausend Goldstücke und will dafür Gerechtigkeit. Also dass ihr das Unrecht vergeltet, das ihr hier zugefügt wurde. Krämer, darf ich bitten?
KRÄMER: Was willst du von mir?
DIENER: Vor fünfundvierzig Jahren war ich Richter hier und hatte eine Vaterschaftsklage zu verhandeln. Eine junge Emanuela, deren Familie keiner kannte, klagte den Krämer an, Vater ihres Kindes zu sein.
(Der Krämer schweigt.)
DIENER: Du bestrittst damals die Vaterschaft und hattest zwei Zeugen mitgebracht.
KRÄMER: Alte Geschichten. Ich war jung und unbesonnen.
DIENER: Die beiden sagten aus, sie hätten Emanuela beigewohnt und noch andere dabei gesehen.
BÜRGERMEISTER: Aber sie gingen beide fort von hier, vor vielen Jahren. Der eine nach Rabenstein und der andere nach Söderland.
EMANUELA: (steht auf) Doch ich ließ sie finden. Und mir ihre Köpfe senden, eingelegt in Fässer voll Salz. Doch nicht, ohne dass sie vorher ihr Verbrechen gestanden hätten.
DIENER: Denn dies ist die Geschichte: ein Richter, ein Angeklagter, zwei gekaufte Zeugen, für eine Flasche Schnaps. Ein Fehlurteil.
KRÄMER: Verjährt, alles verjährt! Eine alte, verrückte Geschichte.
DIENER: Was geschah mit dem Kind, Klägerin?
EMANUELA: (leise) Es lebte ein Jahr.
DIENER: Und was geschah mit euch?
EMANUELA: Ich wurde eine Dirne.
DIENER: Weshalb?
EMANUELA: Das Urteil des Gerichts machte mich dazu. (nach einer Pause) Doch nun will ich Gerechtigkeit. Ich kann sie mir leisten. Eintausend Goldstücke für diesen Flecken, wenn ihr den Krämer verflucht, wenn ein jeder Bürger seinen Namen vergisst und ihr ihn aus eurer Gemeinschaft verstoßt, so wie ich verstoßen wurde.
(Totenstille)
KRÄMER: Emanuela! Das kannst Du doch nicht fordern. Das Leben ging doch längst weiter.
EMANUELA: Das Leben ging weiter, aber ich habe nicht vergessen. Nicht den Wald, nicht den Weiher. Und nun will ich Gerechtigkeit. Für Eintausend Goldstücke.
BÜRGERMEISTER: (mit zitternder Stimme) Doña Emanuela. Den Handel können wir nicht annehmen. Einen Mann ächten und verfluchen. Im Namen des ganzen Dorfes lehne ich das Angebot ab. Wir sind keine Wilden.
(Beifall)
EMANUELA: Ich warte.
=====Zweiter Aufzug=====
(Auf der einen Seite sitzt die alte Dame an einem Tischchen, lässt sich schwarzen Kaffa, Likör, etc. von ihrem Diener bringen. Auf der anderen Seite hat der Krämer seinen Stand aufgebaut, verkauft seine Waren, bedient seine Kundschaft.)
(Die Obsthändlerin kommt an den Verkaufsstand)
KRÄMER: Guten Morgen, Elena.
OBSTHÄNDLERIN: Tabaco.
KRÄMER: Wie jeden Morgen.
OBSTHÄNDLERIN: Nicht den, die Exportware.
KRÄMER: Teurer.
OBSTHÄNDLERIN: Dafür anständig. Schreibs auf.
KRÄMER: Weil du es bist, Elena. Und weil wir zusammenhalten müssen.
ZUCKERROHRBÄUERIN: (kommt auch an den Verkaufsstand)Brot. Und ein halbes Pfund Butter. Und von der guten Chorizo.
KRÄMER: Wohl geerbt, Señora Marta.
ZUCKERROHRBÄUERIN: Schreibs auf.
KRÄMER: Eine Kundschaft habe ich diesen Morgen. Sonst die ganze Zeit niemand, und nun strömt’s seit einigen Tagen. Und sagt mal ihr beiden, habt ihr neue Schuhe angeschafft?
OBSTHÄNDLERIN: Jawohl, der Schuster hat und Kredit gegeben. Im Übrigen stehen wir zu dir, felsenfest.
ZUCKERROHRBÄUERIN: Drücken noch ein Wenig.
OBSTHÄNDLERIN: Und noch Schokolade, jeweils für ein Kupfer für uns beide.
KRÄMER: Auch aufschreiben?
ZUCKERROHRBÄUERIN: Auch.
+ + +
(Der Bürgermeister und der Pfaffe treten bei Emanuela vor.)
BÜRGERMEISTER: Doña Emanuela, wir bitten um Verzeihung.
EMANUELA: Was habt ihr denn verbrochen?
PFAFFE: Nichts, Doña! Wir kommen in der Angelegenheit des Krämers.
EMANUELA: Habt ihr ihn verstoßen und verflucht?
PFAFFE: Doña! Wir haben schließlich unsere guten Sitten.
EMANUELA: Warum seid ihr dann hier?
BÜRGERMEISTER: Die Bürger dieses Fleckens haben sich leider, leider verschiedenes angeschafft.
PFAFFE: Ziemlich vieles.
EMANUELA: Verschuldet?
BÜRGERMEISTER: Hoffnungslos.
EMANUELA: Trotz der guten Sitten?
PFAFFE: Wir sind eben auch nur Menschen.
BÜRGERMEISTER: Und nun müssen wir unsere Schulden bezahlen.
EMANUELA: Ihr wisst, was zu tun ist.
BÜRGERMEISTER: Doña Emanuela, reden wir offen miteinander. Versetzt euch doch einmal in unsere Lage. Unser Einkommen ist schon seit vielen Jahren minimin. Jedoch haben wir hier ausgehalten, in der Hoffnung, dass es einmal wieder besser wird. Wir brauchen Kredit, Vertrauen, dann wird da Pueblo wieder aufblühen! Das brachliegende Zuckerrohrfeld...
PFAFFE: Die marode Seilerei! Kauft doch die, und unser Flecken floriert. Einhundert Goldstücke planvoll und wohlverzinst in diesen Gewerben angelegt, nicht Eintausend verschleudert…
EMANUELA: Ich besitze mehr Gold, als ich in diesem Leben ausgeben könnte.
BÜRGERMEISTER: Wir bitten um keine Almosen, wir bieten ein Geschäft.
EMANUELA: Wirklich? Das Geschäft wäre nicht schlecht.
PFAFFE: Doña, ich wusste, ihr würdet uns nicht im Stich lassen!
EMANUELA: Nur nicht auszuführen. Ich kann die Seilerei nicht kaufen, weil sie mir schon gehört.
BÜRGERMEISTER: Euch?
PFAFFE: Das Zuckerrohrfeld?
EMANUELA: Ebenfalls. Sowie alle anderen Manufakturen und Gewerbe. Ließ sie aufkaufen durch meine Männer und dann stilllegen. Euer Hoffen auf eine bessere Zukunft war vertane Zeit.
(Sille)
BÜRGERMEISTER: Das ist doch ungeheuerlich.
EMANUELA: Es ist lange her, dass ich diesen Flecken verließ, hochschwanger und barfuß. Die Bewohner grinsten mir nach. Als die letzten Gebäude im Nebel versanken beschloss ich, zurückzukommen, einmal. Nun bin ich da. Nun stelle ich die Bedingungen. Mache die Regeln.
PFAFFE: Doña Emanuela, ihr seid ein verletztes, liebendes Weib. Ihr verlangt absolute Gerechtigkeit. Doch lasst den unheilvollen Gedanken der Rachen fallen, treibt uns nicht zum Äußersten. So helft doch den armen, schwachen, aber rechtschaffenen Leuten hier ein etwas besseres Leben zu führen. Ringt euch doch zur reinen Tugend durch!
EMANUELA: Tugend, Señores, ist die für Börse von bloß wohlhabenden Menschen gemacht, mit dem Vermögen und Einfluss über die ich verfüge, schafft man sich eine Weltordnung. Die Welt machte mich zu einer Hure, nun mache ich sie zu einem Bordell. Wer nicht blechen will, muss hinhalten, will er mittanzen. Ihr wollt mittanzen. Anständig ist nur, wer zahlt, und ich zahle. Dieser Flecken für eine Ächtung, Wohlstand für einen Fluch. Los ihr beiden! (Sie geht mit dem Diener ab.)
BÜRGERMEISTER: Was sollen wir bloß tun?
PFAFFE: Was können wir tun, als auf Tugend und Gewissen hören?
(Die beiden gehen ab, darauf tritt der Gendarm an den Marktstand des Krämers.)
+ + +
GENDARM: Guten Morgen, Señoras.
OBSTHÄNDLERIN: Gute Morgen.
ZUCKERROHRBÄUERIN: Guten Morgen.
KRÄMER: Gut, dass Du da bist, Gendarm Esteban. Ich verlange die Verhaftung der Emanuela Castellani.
GENDARM: Bier.
KRÄMER: Sehr wohl. (Schenkt ihm ein) Und wie gewöhnlich einen Schnaps dazu?
GENDARM: Diesmal nicht den Trester, den guten Brandy.
KRÄMER: Ziemlich teuer, kann sich niemand leisten.
GENDARM: Man muss sich auch mal etwas gönnen.
KRÄMER: (Schenkt ein) Die Verhaftung…
GENDARM: Nun, du kannst sie natürlich nur anzeigen. Ob sie verhaftet wird, bestimme immer noch ich. (trinkt) Weshalb eigentlich?
KRÄMER: Sie fordert die Einwohner des Pueblo auf, mich zu verfluchen. Schwarze Magie!
GENDARM: Und nun soll ich die Doña einfach verhaften?
KRÄMER: Deine Pflicht!
GENDARM: Mein Lieber, meine Pflicht ist, die Sache nüchtern zu untersuchen. Doña Emanuela machte dem Dorf einen Vorschlag. Eintausend Goldstücke, das stimmt, ich war dabei. Doch damit ist noch kein Gesetz gebrochen.
KRÄMER: Anstiftung zu schwarzer Magie!
GENDARM: Pass mal auf, selbst wenn das denn ein Verbrechen wäre, dann liegt es nur dann vor, wenn der Vorschlag ernst gemeint ist. Und Eintausend Goldstücke. Du musst doch selbst zugeben, dass Doña Emanuela für viel weniger einen Mann verschwinden lassen könnten. Vor allem einen alten Vogel, den eh keiner vermisst. (Er mustert den Krämer).
KRÄMER: Aber der Vorschlag bedroht mich, ob er nun ernst gemeint ist oder nicht. Die Leute kaufen bessere Butter, besseren Tabaco! Und alle tragen neue Schuhe. Der Schuster gibt ihnen Kredit!
GENDARM: Was du nur gegen neue Schuhe hast? Ich trage schließlich auch neue Schuhe.
KRÄMER: Du auch. (pausiert) Und trinkst den teuren Brandy. Früher hat der Trester ausgereicht.
GENDARM: War grässlich
KRÄMER: Und wovon willst du deine neuen Schuhe bezahlen?
GENDARM: Meine Angelegenheit. Und vielleicht solltest du dir auch einen kleinen Brandy gönnen. Oder an die frische Luft gehen. Bist ganz angespannt. Ich kenn dich gar nicht mehr. (Geht ab)
(Der Krämer wandelt herum, während die Obsthändlerin und Zuckerrohrbäuerin seinen Stand forttragen. Bürgermeister, Pfaffe und Gendarm nehmen wieder die Rolle des Waldes ein)
+ + +
BÜRGERMEISTER: Wieder sind wir Tannen, Buchen
PFAFFE: Specht und Kuckuck, scheues Reh
GENDARM: Efeudome, Moderdunkel
EMANUELA: (tritt mit ihrem Diener auf, der eine Bank hinstellt) Bist du gekommen, meinen Weiher zu besuchen?
KRÄMER: Gehört der Weiher dir etwa auch?
EMANUELA: Auch. Komm, setz dich zu mir. (Der Diener reicht Likör auf einem Silbertablett) Möchtest du auch?
KRÄMER: Gerne.
(Der Diener geht ab.)
EMANUELA: In diesem Wald haben wir oft zusammen getrunken, weißt du noch? Den billigsten Wein, den du kaufen konntest. Oder stehlen.
(Einer der Bäume klopft mit einem Schlüssel auf eine Tabakspfeife)
EMANUELA: Ein Specht.
(Ein anderer der Bäume: Kuckuck! Kuckuck!)
KRÄMER: Ein Kuckuck. (Sie trinken. Schweigen.) Du hattest – ich meine: wir hatten ein Kind?
EMANUELA: Gewiss.
KRÄMER: War es ein Junge oder ein Mädchen?
EMANUELA: Ein Mädchen.
KRÄMER: Hast du ihm einen Namen gegeben?
EMANUELA: Carmelita. Nach meiner Schwester.
KRÄMER: Hübscher Name.
EMANUELA: Ich sah das Ding nur einmal. Bei der Geburt. Dann wurde es mir weggenommen. (Schweigen, Trinken)
KRÄMER: Bei wem ist es dann gestorben?
EMANUELA: Bei einer Amme, zu der mein Vater es gab. Den Namen habe ich vergessen. Er schrieb mir einen Brief. Das erste Mal in vielen Jahren, dass ich von ihm hörte. Und für viele Jahre das letzte.
(Schweigen)
KRÄMER: Nun ist es soweit. Wir sitzen zum letzten Mal in unserem bösen Wald voll Kuckuck und Windesrauschen. (Die Bäume bewegen die Äste.) Das Dorf hat sich entschieden. Sie werden mich ächten und verfluchen.
EMANUELA: Ich liebte dich. Du hast mich verraten. Doch den Traum von Leben, von Liebe, von Vertrauen habe ich nicht vergessen. Ich will ihn wieder errichten, mit Eintausend Goldstücken. Die Vergangenheit verändern, indem ich dich daraus tilge. (Wieder Windesrauschen)
KRÄMER: Wo wird es geschehen?
EMANUELA: Hier. Ich habe meinen Diener ins Dorf geschickt, alle herzuholen.
(Alle treten auf, Emanuela geht von der Bank fort, steht etwas abseits mit dem Diener, während sich die anderen darum versammeln, ihr zugewandt. Der Krämer kann auf der Bank stehen, um besser gesehen zu werden.)
BÜRGERMEISTER: Wer reinen Herzens die Gerechtigkeit verwirklichen will, hebe die Hand. (Alle bis auf den Krämer erheben die Hand.)
BÜRGERMEISTER: Ich vergesse dich. Ich verstoße dich. Ich verfluche dich. (Und dreht sich nach außen)
ZUCKERROHRBÄUERIN: Ich vergesse dich. Ich verstoße dich. Ich verfluche dich. (Und dreht sich nach außen)
GENDARM: Ich vergesse dich. Ich verstoße dich. Ich verfluche dich. (Und dreht sich nach außen)
BÜRGERMEISTER: Ich vergesse dich. Ich verstoße dich. Ich verfluche dich. (Und dreht sich nach außen)
PFAFFE: Ich vergesse dich. Ich verstoße dich. Ich verfluche dich. (Und dreht sich nach außen)
(Währenddessen sackt der Krämer zusammen, so dass er am Ende nicht mehr zu sehen ist, als alle mit dem Rücken zu ihm stehen.)
BÜRGERMEISTER: Der Handel der Doña Emanuela Castellani ist angenommen. Einstimmig. Nicht des Geldes –
ALLE: (Wiederholen jeweils) Nicht des Geldes –
BÜRGERMEISTER: Sondern der Gerechtigkeit wegen –
BÜRGERMEISTER: Und aus Gewissensnot –
BÜRGERMEISTER: Denn wir können nicht leben, wenn wir ein Verbrechen unter und dulden –
BÜRGERMEISTER: Welches wir ausrotten müssen –
BÜRGERMEISTER: Weil es unvereinbar ist mit unseren guten Sitten –
BÜRGERMEISTER: Und unseren Tugenden.
CategoryCC8
CategoryTheater
====Ein Schauspiel in zwei Aufzügen====
Dabei treten auf: eine Zuckerrohrbäuerin, eine Obsthändlerin, ein Bürgermeister, eine [[http://de.wikipedia.org/wiki/Der_Besuch_der_alten_Dame alte Dame]] nebst ihrem Diener, ein Krämer, ein Gendarm und ein Pfaffe
=====Erster Aufzug=====
(Auf dem Dorfplatz sind in freudiger Erwartung der Ankunft der Emanuela Castellani alle Bewohner versammelt. Sie haben die Hoffnung, dass die alte, sehr wohlhabende Dame ihr heruntergekommenes Dorf mit einer großzügigen Spende bedenken möge.)
ZUCKERROHRBÄUERIN: Sie hat einmal hier gewohnt, vor vielen Jahren.
OBSTHÄNDLERIN: Hat ja keiner ahnen können, wer sie ist.
ZUCKERROHRBÄUERIN: Wer weiß, ob einer damals den Namen gekannt hätte.
OBSTHÄNDLERIN: Dann ist sie weggegangen.
OBSTHÄNDLERIN: Hätte ich auch tun sollen.
BÜRGERMEISTER: Da kommt sie! Los, der Chor!
(Der Bürgermeister dirigiert einen Chor aus den Anwesenden, der ein Willkommensständchen singt, dazu treten Emanuela und ihr Diener auf.)
BÜRGERMEISTER: Doña Emanuela! Als Bürgermeister dieses Fleckens habe ich, Ricardo Lora del Rio, die Ehre euch, verehrte Señora, die einmal hier…
(Der Diener lässt geräuschvoll das Gepäck fallen)
EMANUELA: Vielen Dank für die schöne Rede, Herr Bürgermeister. (Sie geht auf den Krämer zu.)
KRÄMER: Emanuela!
EMANUELA: Du!
KRÄMER: Schön, dass Du gekommen bist.
EMANUELA: Das habe ich mir immer vorgenommen. Mein Leben lang, seit ich diesen Flecken verlassen habe.
KRÄMER: (unsicher) Das ist lieb von dir.
EMANUELA: Auch du hast an mich gedacht?
KRÄMER: Natürlich. Immer. Das weißt du doch, Emanuela
EMANUELA: Es war wunderbar, all die Tage, die wir zusammen waren.
KRÄMER: Eben! (Zum Bürgermeister) Schau doch, ich habe sie im Sack!
EMANUELA: Nenn mich, wie du mich immer genannt hast.
KRÄMER: Mein Zuckerhexchen!
EMANUELA: Und ich nannte dich: mein Säbelzahntiger.
KRÄMER: Der bin ich noch.
EMANUELA: Unsinn, Du bist fett geworden und versoffen. Ähnelst eher einem Waldschrat.
(Es stellen sich nun die weiteren Würdenträger vor, zunächst der Gendarm, dann der Pfaffe)
GENDARM: (tritt vor) Gendarm Esteban, Señora. Stehe zur Verfügung.
EMANUELA: (mustert ihn) Danke. Ich will niemanden verhaften. Aber vielleicht wird das Pueblo dich bald nötig haben. Drückst du hin und wieder ein Auge zu?
GENDARM: Das schon, Señora. Wo käme ich hier denn sonst hin?
EMANUELA: Schließ lieber beide.
KRÄMER: Ganz die Emanuela, wie ich sie liebte.
EMANUELA: Ei, ein Pfaffe. Ich nehme an, du pflegst zu beten.
PFAFFE: (tritt vor) Jawohl, zum heiligen Licht. Bruder Miguel, zu Diensten.
EMANUELA: Und pflegt dein heiliges Licht, Flüche zu brechen?
PFAFFE: (verwirrt) Flüche kommen hier nicht so häufig vor, Señora.
EMANUELA: Vielleicht ja in Zukunft öfter. (Zum Krämer) Aber jetzt will ich mit dir in den Wald gehen. Zu dem kleinen Weiher.
(Emanuela und Krämer gehen ab, Bürgermeister, Gendarm und Pfaffe treten zurück, markieren Wald)
+ + +
BÜRGERMEISTER: Wir sind dunkelgrün Mangroven.
GENDARM: Moos und Flechten, Efeudickicht.
PFAFFE: Wolkenzüge, Vogelrufe.
BÜRGERMEISTER: Echte, dunkle Wurzelwildnis.
GENDARM: Fliegenpilze, scheue Rehe.
PFAFFE: Zweiggeflüster, alte Träume.
EMANUELA: (tritt mit dem Krämer auf) Dies ist der Wald, dort der Weiher. Hier wollen wir sprechen.
(Der Diener tritt auf, bringt eine Bank, auf der Emanuela platz nimmt. Der Diener bleibt dahinter stehen.)
EMANUELA: Schau, ein Reh!
GENDARM: (springt davon)
KRÄMER: Schonzeit. (setzt sich zu ihr)
EMANUELA: Auf dieser Lichtung küssten wir uns. Vor mehr als fünfundvierzig Jahren. Wir liebten uns bei jenem Weiher, zwischen Fliegenpilzen im Moos. Ich war siebzehn, du noch nicht zwanzig. Dann hast du eine andere geheiratet, mit ihrem Krämerladen. Damals hast du nicht gewusst, wer ich bin. Fast hätte ich es selbst vergessen, als ich von hier weg ging. Bin dann an Wegen und in Städten meinem Gewerbe nachgegangen.
KRÄMER: Emanuela!
EMANUELA: Eine Cigarra. (Der Diener reicht ihr eine, zündet sie an.)
KRÄMER: Ich habe dir immer eine gute Zukunft gewünscht.
EMANUELA: Nun ist die Zukunft gekommen.
KRÄMER: Ich war mein Leben lang Krämer in einem verkrachten Städtchen. Und seit zwanzig Jahren geht das Geschäft schlecht und schlechter.
EMANUELA: Nun habe ich Geld. Seit ich mich mit meinem Vater aussöhnte auch ein gewisses Ansehen.
(Sie schauen in den Wald, er schweigt, sie raucht. Die Bäume rascheln mit den Blättern.)
KRÄMER: Nun wird sich alles ändern.
EMANUELA: Gewiss.
KRÄMER: Du wirst uns helfen?
EMANUELA: Ich lasse dieses Städtchen nicht im Stich.
KRÄMER: Wir haben viele Goldstücke nötig.
EMANUELA: Das geringste.
KRÄMER: (begeistert) Zuckerhexchen!
EMANUELA: Nun schafft mich einmal in das Pueblo zurück, dann will ich meine Wohltat verkünden.
(Diener und Krämer nehmen die Bank als eine Sänfte, tragen Emanuela darauf zurück ins Dorf, dort sind wieder alle versammelt.)
+ + +
BÜRGERMEISTER: Der Beifallssturm gilt euch, Doña Emanuela.
EMANUELA: Bürgermeister, bevor du eine große Rede machst, will ich gleich sagen, weshalb ich hergekommen bin. Und ihr Anderer hört auch gut zu. Vor vielen Jahrzehnten habe ich in diesem Dorf gewohnt. Damals hat keiner meinen Namen gekannt. Aber ich erinnere mich noch gut an diese Zeit. Und im Andenken daran will ich dem Pueblo Eintausend Goldstücke schenken, fünfhundert dem Ort und fünfhundert verteilt auf alle Familien.
(Totenstille)
BÜRGERMEISTER: (stottert) Eintausend.
EMANUELA: Unter einer Bedingung.
(Alle brechen in Jubel aus)
KRÄMER: Emanuela! Goldig. Wunderbar! Voll und ganz mein Zuckerhexchen. (Er küsst sie.)
BÜRGERMEISTER: Unter einer Bedingung, haben la Doña gesagt. Darf ich diese Bedingung wissen?
EMANUELA: Ich will euch die Bedingung nennen. Ich gebe euch Eintausend Goldstücke und kaufe mir dafür die Gerechtigkeit.
(Totenstille)
BÜRGERMEISTER: Wie ist das zu verstehen, Doña?
EMANUELA: Wie ich es sagte.
BÜRGERMEISTER: Aber Gerechtigkeit kann man doch nicht kaufen!
EMANUELA: Man kann alles kaufen. Meine Familie kann alles kaufen.
BÜRGERMEISTER: Ich verstehe noch immer nicht.
EMANUELA: Diener, tritt vor!
DIENER: Ich weiß nicht, ob noch einer von euch mich erkennt.
OBSTHÄNDLERIN: Der Richter Alvarez!
DIENER: Jawohl, ich war der Richter Alvarez hier vor vielen Jahren und später noch Notar in Jarlow-Stadt, bis vor zwanzig Jahren Señora Emanuela Castellani mir das Angebot machte, als Diener in ihre Dienste zu treten. Es mag ungewöhnlich erscheinen, aber sie bot ein so phantastisches Salär.
EMANUELA: Komm zu Sache.
DIENER: Jawohl. Wie ihr vernommen habt, bietet Señora Castellani Eintausend Goldstücke und will dafür Gerechtigkeit. Also dass ihr das Unrecht vergeltet, das ihr hier zugefügt wurde. Krämer, darf ich bitten?
KRÄMER: Was willst du von mir?
DIENER: Vor fünfundvierzig Jahren war ich Richter hier und hatte eine Vaterschaftsklage zu verhandeln. Eine junge Emanuela, deren Familie keiner kannte, klagte den Krämer an, Vater ihres Kindes zu sein.
(Der Krämer schweigt.)
DIENER: Du bestrittst damals die Vaterschaft und hattest zwei Zeugen mitgebracht.
KRÄMER: Alte Geschichten. Ich war jung und unbesonnen.
DIENER: Die beiden sagten aus, sie hätten Emanuela beigewohnt und noch andere dabei gesehen.
BÜRGERMEISTER: Aber sie gingen beide fort von hier, vor vielen Jahren. Der eine nach Rabenstein und der andere nach Söderland.
EMANUELA: (steht auf) Doch ich ließ sie finden. Und mir ihre Köpfe senden, eingelegt in Fässer voll Salz. Doch nicht, ohne dass sie vorher ihr Verbrechen gestanden hätten.
DIENER: Denn dies ist die Geschichte: ein Richter, ein Angeklagter, zwei gekaufte Zeugen, für eine Flasche Schnaps. Ein Fehlurteil.
KRÄMER: Verjährt, alles verjährt! Eine alte, verrückte Geschichte.
DIENER: Was geschah mit dem Kind, Klägerin?
EMANUELA: (leise) Es lebte ein Jahr.
DIENER: Und was geschah mit euch?
EMANUELA: Ich wurde eine Dirne.
DIENER: Weshalb?
EMANUELA: Das Urteil des Gerichts machte mich dazu. (nach einer Pause) Doch nun will ich Gerechtigkeit. Ich kann sie mir leisten. Eintausend Goldstücke für diesen Flecken, wenn ihr den Krämer verflucht, wenn ein jeder Bürger seinen Namen vergisst und ihr ihn aus eurer Gemeinschaft verstoßt, so wie ich verstoßen wurde.
(Totenstille)
KRÄMER: Emanuela! Das kannst Du doch nicht fordern. Das Leben ging doch längst weiter.
EMANUELA: Das Leben ging weiter, aber ich habe nicht vergessen. Nicht den Wald, nicht den Weiher. Und nun will ich Gerechtigkeit. Für Eintausend Goldstücke.
BÜRGERMEISTER: (mit zitternder Stimme) Doña Emanuela. Den Handel können wir nicht annehmen. Einen Mann ächten und verfluchen. Im Namen des ganzen Dorfes lehne ich das Angebot ab. Wir sind keine Wilden.
(Beifall)
EMANUELA: Ich warte.
=====Zweiter Aufzug=====
(Auf der einen Seite sitzt die alte Dame an einem Tischchen, lässt sich schwarzen Kaffa, Likör, etc. von ihrem Diener bringen. Auf der anderen Seite hat der Krämer seinen Stand aufgebaut, verkauft seine Waren, bedient seine Kundschaft.)
(Die Obsthändlerin kommt an den Verkaufsstand)
KRÄMER: Guten Morgen, Elena.
OBSTHÄNDLERIN: Tabaco.
KRÄMER: Wie jeden Morgen.
OBSTHÄNDLERIN: Nicht den, die Exportware.
KRÄMER: Teurer.
OBSTHÄNDLERIN: Dafür anständig. Schreibs auf.
KRÄMER: Weil du es bist, Elena. Und weil wir zusammenhalten müssen.
ZUCKERROHRBÄUERIN: (kommt auch an den Verkaufsstand)Brot. Und ein halbes Pfund Butter. Und von der guten Chorizo.
KRÄMER: Wohl geerbt, Señora Marta.
ZUCKERROHRBÄUERIN: Schreibs auf.
KRÄMER: Eine Kundschaft habe ich diesen Morgen. Sonst die ganze Zeit niemand, und nun strömt’s seit einigen Tagen. Und sagt mal ihr beiden, habt ihr neue Schuhe angeschafft?
OBSTHÄNDLERIN: Jawohl, der Schuster hat und Kredit gegeben. Im Übrigen stehen wir zu dir, felsenfest.
ZUCKERROHRBÄUERIN: Drücken noch ein Wenig.
OBSTHÄNDLERIN: Und noch Schokolade, jeweils für ein Kupfer für uns beide.
KRÄMER: Auch aufschreiben?
ZUCKERROHRBÄUERIN: Auch.
+ + +
(Der Bürgermeister und der Pfaffe treten bei Emanuela vor.)
BÜRGERMEISTER: Doña Emanuela, wir bitten um Verzeihung.
EMANUELA: Was habt ihr denn verbrochen?
PFAFFE: Nichts, Doña! Wir kommen in der Angelegenheit des Krämers.
EMANUELA: Habt ihr ihn verstoßen und verflucht?
PFAFFE: Doña! Wir haben schließlich unsere guten Sitten.
EMANUELA: Warum seid ihr dann hier?
BÜRGERMEISTER: Die Bürger dieses Fleckens haben sich leider, leider verschiedenes angeschafft.
PFAFFE: Ziemlich vieles.
EMANUELA: Verschuldet?
BÜRGERMEISTER: Hoffnungslos.
EMANUELA: Trotz der guten Sitten?
PFAFFE: Wir sind eben auch nur Menschen.
BÜRGERMEISTER: Und nun müssen wir unsere Schulden bezahlen.
EMANUELA: Ihr wisst, was zu tun ist.
BÜRGERMEISTER: Doña Emanuela, reden wir offen miteinander. Versetzt euch doch einmal in unsere Lage. Unser Einkommen ist schon seit vielen Jahren minimin. Jedoch haben wir hier ausgehalten, in der Hoffnung, dass es einmal wieder besser wird. Wir brauchen Kredit, Vertrauen, dann wird da Pueblo wieder aufblühen! Das brachliegende Zuckerrohrfeld...
PFAFFE: Die marode Seilerei! Kauft doch die, und unser Flecken floriert. Einhundert Goldstücke planvoll und wohlverzinst in diesen Gewerben angelegt, nicht Eintausend verschleudert…
EMANUELA: Ich besitze mehr Gold, als ich in diesem Leben ausgeben könnte.
BÜRGERMEISTER: Wir bitten um keine Almosen, wir bieten ein Geschäft.
EMANUELA: Wirklich? Das Geschäft wäre nicht schlecht.
PFAFFE: Doña, ich wusste, ihr würdet uns nicht im Stich lassen!
EMANUELA: Nur nicht auszuführen. Ich kann die Seilerei nicht kaufen, weil sie mir schon gehört.
BÜRGERMEISTER: Euch?
PFAFFE: Das Zuckerrohrfeld?
EMANUELA: Ebenfalls. Sowie alle anderen Manufakturen und Gewerbe. Ließ sie aufkaufen durch meine Männer und dann stilllegen. Euer Hoffen auf eine bessere Zukunft war vertane Zeit.
(Sille)
BÜRGERMEISTER: Das ist doch ungeheuerlich.
EMANUELA: Es ist lange her, dass ich diesen Flecken verließ, hochschwanger und barfuß. Die Bewohner grinsten mir nach. Als die letzten Gebäude im Nebel versanken beschloss ich, zurückzukommen, einmal. Nun bin ich da. Nun stelle ich die Bedingungen. Mache die Regeln.
PFAFFE: Doña Emanuela, ihr seid ein verletztes, liebendes Weib. Ihr verlangt absolute Gerechtigkeit. Doch lasst den unheilvollen Gedanken der Rachen fallen, treibt uns nicht zum Äußersten. So helft doch den armen, schwachen, aber rechtschaffenen Leuten hier ein etwas besseres Leben zu führen. Ringt euch doch zur reinen Tugend durch!
EMANUELA: Tugend, Señores, ist die für Börse von bloß wohlhabenden Menschen gemacht, mit dem Vermögen und Einfluss über die ich verfüge, schafft man sich eine Weltordnung. Die Welt machte mich zu einer Hure, nun mache ich sie zu einem Bordell. Wer nicht blechen will, muss hinhalten, will er mittanzen. Ihr wollt mittanzen. Anständig ist nur, wer zahlt, und ich zahle. Dieser Flecken für eine Ächtung, Wohlstand für einen Fluch. Los ihr beiden! (Sie geht mit dem Diener ab.)
BÜRGERMEISTER: Was sollen wir bloß tun?
PFAFFE: Was können wir tun, als auf Tugend und Gewissen hören?
(Die beiden gehen ab, darauf tritt der Gendarm an den Marktstand des Krämers.)
+ + +
GENDARM: Guten Morgen, Señoras.
OBSTHÄNDLERIN: Gute Morgen.
ZUCKERROHRBÄUERIN: Guten Morgen.
KRÄMER: Gut, dass Du da bist, Gendarm Esteban. Ich verlange die Verhaftung der Emanuela Castellani.
GENDARM: Bier.
KRÄMER: Sehr wohl. (Schenkt ihm ein) Und wie gewöhnlich einen Schnaps dazu?
GENDARM: Diesmal nicht den Trester, den guten Brandy.
KRÄMER: Ziemlich teuer, kann sich niemand leisten.
GENDARM: Man muss sich auch mal etwas gönnen.
KRÄMER: (Schenkt ein) Die Verhaftung…
GENDARM: Nun, du kannst sie natürlich nur anzeigen. Ob sie verhaftet wird, bestimme immer noch ich. (trinkt) Weshalb eigentlich?
KRÄMER: Sie fordert die Einwohner des Pueblo auf, mich zu verfluchen. Schwarze Magie!
GENDARM: Und nun soll ich die Doña einfach verhaften?
KRÄMER: Deine Pflicht!
GENDARM: Mein Lieber, meine Pflicht ist, die Sache nüchtern zu untersuchen. Doña Emanuela machte dem Dorf einen Vorschlag. Eintausend Goldstücke, das stimmt, ich war dabei. Doch damit ist noch kein Gesetz gebrochen.
KRÄMER: Anstiftung zu schwarzer Magie!
GENDARM: Pass mal auf, selbst wenn das denn ein Verbrechen wäre, dann liegt es nur dann vor, wenn der Vorschlag ernst gemeint ist. Und Eintausend Goldstücke. Du musst doch selbst zugeben, dass Doña Emanuela für viel weniger einen Mann verschwinden lassen könnten. Vor allem einen alten Vogel, den eh keiner vermisst. (Er mustert den Krämer).
KRÄMER: Aber der Vorschlag bedroht mich, ob er nun ernst gemeint ist oder nicht. Die Leute kaufen bessere Butter, besseren Tabaco! Und alle tragen neue Schuhe. Der Schuster gibt ihnen Kredit!
GENDARM: Was du nur gegen neue Schuhe hast? Ich trage schließlich auch neue Schuhe.
KRÄMER: Du auch. (pausiert) Und trinkst den teuren Brandy. Früher hat der Trester ausgereicht.
GENDARM: War grässlich
KRÄMER: Und wovon willst du deine neuen Schuhe bezahlen?
GENDARM: Meine Angelegenheit. Und vielleicht solltest du dir auch einen kleinen Brandy gönnen. Oder an die frische Luft gehen. Bist ganz angespannt. Ich kenn dich gar nicht mehr. (Geht ab)
(Der Krämer wandelt herum, während die Obsthändlerin und Zuckerrohrbäuerin seinen Stand forttragen. Bürgermeister, Pfaffe und Gendarm nehmen wieder die Rolle des Waldes ein)
+ + +
BÜRGERMEISTER: Wieder sind wir Tannen, Buchen
PFAFFE: Specht und Kuckuck, scheues Reh
GENDARM: Efeudome, Moderdunkel
EMANUELA: (tritt mit ihrem Diener auf, der eine Bank hinstellt) Bist du gekommen, meinen Weiher zu besuchen?
KRÄMER: Gehört der Weiher dir etwa auch?
EMANUELA: Auch. Komm, setz dich zu mir. (Der Diener reicht Likör auf einem Silbertablett) Möchtest du auch?
KRÄMER: Gerne.
(Der Diener geht ab.)
EMANUELA: In diesem Wald haben wir oft zusammen getrunken, weißt du noch? Den billigsten Wein, den du kaufen konntest. Oder stehlen.
(Einer der Bäume klopft mit einem Schlüssel auf eine Tabakspfeife)
EMANUELA: Ein Specht.
(Ein anderer der Bäume: Kuckuck! Kuckuck!)
KRÄMER: Ein Kuckuck. (Sie trinken. Schweigen.) Du hattest – ich meine: wir hatten ein Kind?
EMANUELA: Gewiss.
KRÄMER: War es ein Junge oder ein Mädchen?
EMANUELA: Ein Mädchen.
KRÄMER: Hast du ihm einen Namen gegeben?
EMANUELA: Carmelita. Nach meiner Schwester.
KRÄMER: Hübscher Name.
EMANUELA: Ich sah das Ding nur einmal. Bei der Geburt. Dann wurde es mir weggenommen. (Schweigen, Trinken)
KRÄMER: Bei wem ist es dann gestorben?
EMANUELA: Bei einer Amme, zu der mein Vater es gab. Den Namen habe ich vergessen. Er schrieb mir einen Brief. Das erste Mal in vielen Jahren, dass ich von ihm hörte. Und für viele Jahre das letzte.
(Schweigen)
KRÄMER: Nun ist es soweit. Wir sitzen zum letzten Mal in unserem bösen Wald voll Kuckuck und Windesrauschen. (Die Bäume bewegen die Äste.) Das Dorf hat sich entschieden. Sie werden mich ächten und verfluchen.
EMANUELA: Ich liebte dich. Du hast mich verraten. Doch den Traum von Leben, von Liebe, von Vertrauen habe ich nicht vergessen. Ich will ihn wieder errichten, mit Eintausend Goldstücken. Die Vergangenheit verändern, indem ich dich daraus tilge. (Wieder Windesrauschen)
KRÄMER: Wo wird es geschehen?
EMANUELA: Hier. Ich habe meinen Diener ins Dorf geschickt, alle herzuholen.
(Alle treten auf, Emanuela geht von der Bank fort, steht etwas abseits mit dem Diener, während sich die anderen darum versammeln, ihr zugewandt. Der Krämer kann auf der Bank stehen, um besser gesehen zu werden.)
BÜRGERMEISTER: Wer reinen Herzens die Gerechtigkeit verwirklichen will, hebe die Hand. (Alle bis auf den Krämer erheben die Hand.)
BÜRGERMEISTER: Ich vergesse dich. Ich verstoße dich. Ich verfluche dich. (Und dreht sich nach außen)
ZUCKERROHRBÄUERIN: Ich vergesse dich. Ich verstoße dich. Ich verfluche dich. (Und dreht sich nach außen)
GENDARM: Ich vergesse dich. Ich verstoße dich. Ich verfluche dich. (Und dreht sich nach außen)
BÜRGERMEISTER: Ich vergesse dich. Ich verstoße dich. Ich verfluche dich. (Und dreht sich nach außen)
PFAFFE: Ich vergesse dich. Ich verstoße dich. Ich verfluche dich. (Und dreht sich nach außen)
(Währenddessen sackt der Krämer zusammen, so dass er am Ende nicht mehr zu sehen ist, als alle mit dem Rücken zu ihm stehen.)
BÜRGERMEISTER: Der Handel der Doña Emanuela Castellani ist angenommen. Einstimmig. Nicht des Geldes –
ALLE: (Wiederholen jeweils) Nicht des Geldes –
BÜRGERMEISTER: Sondern der Gerechtigkeit wegen –
BÜRGERMEISTER: Und aus Gewissensnot –
BÜRGERMEISTER: Denn wir können nicht leben, wenn wir ein Verbrechen unter und dulden –
BÜRGERMEISTER: Welches wir ausrotten müssen –
BÜRGERMEISTER: Weil es unvereinbar ist mit unseren guten Sitten –
BÜRGERMEISTER: Und unseren Tugenden.
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