das Behüten
~ Und dann segelten sie. Die Haare flatterten ungebändigt im Wind, voll Wildheit, ganz Ausdruck all ihrer Ablehnung allem gegenüber, was gut und anständig, ordentlich und recht war. Freiheit! Freiheit zu tun und zu lassen wie es einem beliebt – davon sangen die tanzenden Locken – und keines Herren Diener! ~
Schon furchtbar lange her, als Jarlow noch Brakan war und Piraten seine Küsten beherrschten, als die ersten Menschen dort Fuß fassten wo jetzt Jarlow-Stadt ist, entstanden viele Jarlower Sitten, die bis heute Bestand haben. Eine davon ist jene, die wir das ‚Behüten‘ nennen.
In der damaligen Zeit, so sagen es die Historiker, war es von großer Bedeutung für die aufstrebenden Bürger der jungen Handelsstadt sich optisch von ihren piratischen Schutzpatronen abzuheben um nicht ihren schlechten Ruf abfärben zu lassen. In der bürgerlichen Mode entwickelte sich daraus eine gesellschaftliche Verpflichtung, das Haar zu bedecken. Und je ehrlicher und anständiger sich ein Bürger Jarlows zu geben versuchte, umso mehr Wert legte er auf die Umsetzung dieser Sitte. Die Art der Kopfbedeckung änderte sich über die Jahre in ihrem Detail, eine gewisse Konstanz aber blieb immer bestehen: Wer sein Haar nicht bedeckt, wird je nach Region als frivol oder sogar gesellschaftlich ausgestoßen wahrgenommen. Eine ordentliche Frisur mit einem Hut oder einer Kappe ist vielerorts das Minimum der bürgerlichen Pflicht, um sich nicht den Vorwurf gefallen lassen zu müssen, sich gehen zu lassen und unehrbar zu sein. Jemandem seinen Hut oder sein Kopftuch zu nehmen ist daher eine schwere Beleidigung, da es ihn des Ausdrucks seiner sozialen Stellung beraubt. Manche sagen, nur ein simples über die Stirn gebundenes Kopftuch zu tragen sei eine heimliche Verbrüderung mit den frühen Piraten gewesen: Ehrlicher Bürger und gleichsam Freund der Freiheit.
Ob der Ursprung dieser Jarlower Tradition nun tatsächlich stimmt mag Thema von Disputen sein. Tatsächlich aber hat der Kopf eines Menschen heute landesweit eine hohe Bedeutung. Und erst recht, was er darauf trägt. Je größer der Einfluss einer Person, je mehr soziale Aufmerksamkeit sie erregt, umso mehr Wert wird diesen Dingen naturgemäß eingeräumt. Dies gilt gleichsam für Männer und Frauen, ein Grund vielleicht, warum Jarlow Stadt mit einer exquisiten Herren-Hutmode glänzen kann. Mit dem Erlass über die Spitzhüte für Zauberwirker wurde durch den Gildenrat sogar ein Gesetz erlassen, welches die Kopfbedeckung für eine bestimmte Menschengruppe regelt. Auch der Friseurberuf hat in Jarlow einen hohen Stellenwert, denn das gekämmte, gezähmte Haar, verborgen unter ordentlich gelegten Stoffbahnen oder halb darunter zu sehen, ist ein stilvoller Ausdruck der eigenen Disziplin und Rechtschaffenheit. Ebenso deutlich zeigt sich die Kehrseite dieser Betrachtung: Wer Wert auf seinen dubiosen Ruf legt oder diesen sogar zu seinem Kapital macht, verzichtet gerne auf eine Kopfbedeckung. Die kunstvollen Frisuren der Kurtisanen und die wilden Strähnen mancher Hafenarbeiter sprechen eine ganz eigene Sprache.